Tabuthema Sterben

Kirchseeon · Vortragsabend informierte über Sterben in Würde

Birgit Krause-Michel und die Mitglieder der Alzheimer Gesellschaft Ebersberg (v. l.): Willi  Daniels, Hans L. Schneider, Werner Benningsfeld und Hans Gnahn. 	Foto: Berwanger

Birgit Krause-Michel und die Mitglieder der Alzheimer Gesellschaft Ebersberg (v. l.): Willi Daniels, Hans L. Schneider, Werner Benningsfeld und Hans Gnahn. Foto: Berwanger

Kirchseeon · »Wenn ich Sie fragte, wie Sie gerne sterben möchten, dann würden Sie alle sagen: in Würde und selbstbestimmt«, begrüßte die Palliativmedizinerin und Ethikberaterin Dr. Birgit Krause-Michel vor kurzem die Hörer ihres Vortrages bei der Alzheimer Gesellschaft Landkreis Ebersberg.

Diese hatte die Bad Reichenhallerin zu einem Vortrag über ihre Erfahrungen mit Patientenverfügungen, Vorsorgevollmachten und der dynamisierten Form der Patientenverfügung, dem Advance Care Planning, eingeladen. Die Referentin machte deutlich, dass eine beizeiten abgefasste, möglichst umfassende, klare Patientenverfügung nicht nur dem Sterbenden, sondern auch seinen Angehörigen und behandelnden Ärzten ein Gehen in Würde erleichtert.

Das AWO-Seniorenzentrum »Gertrud-Bayer-Haus« in Kirchseeon hatte die Alzheimer Gesellschaft aus gutem Grund als Veranstaltungsort gewählt. Dort wird bereits seit 2010 das Projekt Sterbekultur umgesetzt. »Ein Leuchtturmprojekt im Landkreis Ebersberg« nennt dies der Vorsitzende der Alzheimer-Gesellschaft, Dr. Hans Gnahn.

Er begrüßte mit Birgit Krause-Michel einen Gast aus dem Berchtesgadener Land. Dort hat die Bad Reichenhallerin vor fünf Jahren gemeinsam mit dem CSU-Politiker Alois Glück eine »Außerklinische Ethikberatung gegründet, die im Netzwerk Hospiz Südostbayern als eigenständiges Gremium etabliert ist. Auch dieses ist ein Pilotprojekt, begleitet vom Institut für Ethik, Geschichte und Theorie der Medizin der Ludwig-Maximilians-Universität München unter der Leitung von Professor Dr. Georg Marckmann. Und »vermutlich in ganz Deutschland einmalig«, so Krause-Michel. Sie gestaltete ihren dichten zweistündigen Vortrag auch entlang prägnanter Fallbeispiele ihrer Arbeit in Berchtesgaden und Traunstein. »Seit 2009 gibt es Patientenverfügungen, damit jeder genau sagen kann, wie er im letzten Lebensabschnitt behandelt werden möchte«, erklärte Birgit Krause-Michel.

Die Patientenverfügung trete erst dann in Kraft, wenn ihr Verfasser nicht mehr einwilligungsfähig sei. »Damit sie jemand durchsetzen kann, brauchen Sie immer noch eine Person. Dieser Bevollmächtigte kann nur das vertreten, was Sie verfügt haben«, betonte sie.

Die Patientenverfügung sei »ein ungeheurer Anspruch an uns Ärzte«, räumte Krause-Michel ein. Hätten die Ärzte bis zur Einführung der Patientenverfügung gewusst und entschieden, was für den Patienten gut sei, stünde jetzt dessen Wille an oberster Stelle. Diesen könne man in der Patientenverfügung in vier Kategorien präzisieren.

Die erste betreffe den unmittelbaren Sterbeprozess, die zweite den Fall einer tödlichen Erkrankung ohne festgesetzten Todeszeitpunkt und die dritte die nach Schlaganfällen häufigen Störungen des Zentralnervensystems.

»Das vierte Gebiet ist mit der Demenz das schwierigste«, so die Referentin. Die meisten Menschen würden sich keine künstliche Ernährung mehr wünschen, wenn sie so dement seien, dass sie ohne ausreichende Hilfestellung keine flüssige Nahrung mehr zu sich nehmen könnten. »Deshalb gilt die Patientenverfügung erst, wenn der Mensch nicht mehr schlucken kann.«

Das immer wieder den neuesten Erkenntnissen und Erfordernissen angepasste Thema Patientenverfügung verlange laut Bundesgerichtshof seit Oktober 2016 von den Menschen in ihrer Verfügung konkrete Entscheidungen. »An erster Stelle stehen keine lebensverlängernden Maßnahmen mit künstlicher Ernährung, keine Dialyse oder Antibiotika.«

Krause-Michel erinnerte sich an den Fall einer 86-jährigen Schlaganfallpatientin, die entgegen ihrem in der Patientenverfügung geäußerten Willen auf Wunsch ihres Ehemannes eine Magensonde bekam, damit sie in eine Früh-Reha aufgenommen werden konnte.

Nachdem sich auch nach acht Wochen keinerlei Besserung zeigte, bekam ihr Ehemann starke Schuldgefühle. Nach einer mehrmaligen ethischen Beratung konnte die Ernährungssonde schließlich entfernt werden und seine Frau in Ruhe gehen. »Es gibt hierzu ein Urteil, dass das Beenden einer Maßnahme erlaubt, die gegen den Patientenwillen entstanden ist«, betonte Birgit Krause-Michel. »Die meisten Patienten, die ein Pflegeheim kommen, haben aber gar keine Patientenverfügung, dies bedeutet immer wieder große ethische Probleme«, berichtete die Palliativärztin.

Wichtig wäre daher – optimal mit Patientenverfügung, sonst auch ohne – ein Notfallbogen. Zum Beispiel könne der Patient klar darlegen, dass er im Notfall nicht mehr in ein Krankenhaus eingeliefert werden wolle. »In den Landkreisen Berchtesgadener Land und Traunstein signalisiert dies erfolgreich die von der Autobahn bekannte Rote Hand, die nach Rücksprache mit dem Patienten beziehungsweise seinem Bevollmächtigten vom Hausarzt gut sichtbar auf die Akte geklebt wird.

Die Palliativmedizin leistet im Landkreis hervorragende Arbeit

Ihr Ebersberger Kollege Dr. Hans L. Schneider betonte in diesem Zusammenhang, dass sich die Palliativmedizin im Laufe seiner rund 40-jährigen Kliniktätigkeit enorm weiterentwickelt habe.

Palliativmedizin auf dem neusten Stand werde im Landkreis Ebersberg zum Beispiel von dem von ihm geleiteten Christophorus-Hospizverein und von der Spezialisierte Ambulante Palliativversorgung (SAPV) des Zentrums für Ambulante Hospiz- und PalliativVersorgung München Land, Stadtrand und Ebersberg angeboten. Dessen Leiterin Katja Goudinoudis war zuversichtlich, dass das Konzept der Gesundheitlichen Vorausplanung (ACP) »in zwei bis drei Jahren in der Region implementiert sein wird.«

Das ACP setzt auf einen dialogischen Prozess anstatt punktueller Festlegungen. Es soll so den sich unter Umständen im Laufe der Jahre ändernden Behandlungswünschen der Patienten Rechnung tragen. Dass die Patientenverfügung am besten im Dialog daraufhin überprüft werden solle, ob sie noch dem aktuellen Willen des Patienten entspricht – darüber waren sich alle einig.

Von Ina Berwanger

Artikel vom 10.02.2017
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