Leerstellen der Erinnerung?

Obermenzing · Gedenkakt für jüdische Opfer des Naziregimes

Der Stuhl steht als Mahnmal symbolisch für die Leere, die Emigration und Genozid hinterlassen haben.	F.: Peter Pich

Der Stuhl steht als Mahnmal symbolisch für die Leere, die Emigration und Genozid hinterlassen haben. F.: Peter Pich

Obermenzing · Den Begriff Heimat plötzlich nicht mehr mit Vertrautheit, Geborgenheit und Verwurzelung in Verbindung bringen zu können, ist in den Friedenszeiten, die uns hier die europäische Geschichte seit der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts beschert hat, kaum mehr vorstellbar.

Dass gegenwärtig weltweit über 60 Millionen Menschen auf der Flucht sind, scheint oft mehr eine abstrakte Zahl, von der man vielleicht eine vage Vorstellung mitbringt, denn eine konkrete Problemlage. Doch Menschen müssen auch im 21. Jahrhundert noch vor den Schrecken des Krieges, vor politischer, religiöser und rassistisch motivierter Verfolgung fliehen. Sie müssen Alles zurück lassen, müssen die vertraute, angestammte Heimat verlassen. Nicht jeder Versuch, zumindest mit dem Leben davon zu kommen, gelingt. Manche erhalten nicht einmal hierzu eine Chance.

Auch in München, in der einst so betitelten »Hauptstadt der Bewegung«, ist es gar nicht lange her, dass Bewohnerinnen und Bewohner keinen sicheren Ort mehr in ihrer Heimat sehen konnten. Auch sie mussten flüchten, um nicht den Gräueltaten des nationalsozialistischen Unrechtregimes zum Opfer zu fallen. Und wo Menschen ihr gesamtes bisheriges Leben hinter sich lassen oder sie gar ihr Leben lassen müssen, hinterlassen sie menschlich Leere.

Erst vergangenen November wurde der »gebeugte, leere Stuhl« an der Obermenzinger Kirche Leiden Christi eingeweiht, der sich gleich unter der Sonnenuhr an der Außenwand des Gotteshauses befindet. Er weist auf die Leerstellen hin, die die vom Nazi-Terror verfolgten, vertriebenen und ermordeten Juden hinterlassen haben.

»Der Stuhl ist ein sichtbares Zeichen zur Mahnung und zur Erinnerung. Unsere Pflicht ist es, sicherzustellen, dass, kein Opfer je vergessen ist. Wir wollen die Erinnerung wach halten«, erklärt Angela Scheibe-Jaeger, Mitglied des Vorstandes des Kulturforums München-West, das das Gedenken organisiert.

Gemeinsam gegen das Vergessen

In Obermenzing haben die Opfer des NS-Regimes Namen und Gesichter. Sie werden von Mitgliedern der Geschichtswerkstatt, die vor einigen Jahren das Buch und die Ausstellung »Ins Licht gerückt – Jüdisches Leben im Münchner Westen« erarbeitet hat, verlesen. Zudem stellen sie am Mittwoch, 25. Januar, Einzelschicksale vor: Klary Mayr wurde als Nähschwester in der Blutenburg versteckt und überlebte.

Ebenso Frieda und Ruth Jordan, die auf einem Bauernhof am Tegernsee Zuflucht fanden. Der Ledergroßhändler Simon Kahn wurde enteignet und kam nach Dachau, konnte aber mit einem Teil seiner weitverzweigten Familie in die USA ausreisen. Berthold Hirsch, in seiner Funktion als Stifter der Obermenzinger Gemeindebibliothek öffentlich geehrt, wurde im KZ Kaunas ermordet. Ernest Landau, der Gründer der jüdischen Zeitung »Neue Welt«, überlebte mehrere Konzentrationslager. Die hier nur kursorisch angeschnittene Liste ließe sich trauriger Weise fortsetzen.

Wer sich über die Forschungsergebnisse der Geschichtswerkstatt informieren möchte, kann hierzu den QR-Code an der Kirchenwand nutzen. Er führt direkt auf die Website des Kulturforums München-West. Der Verein, der sich auch für die Errichtung der Skulptur »Leerer Stuhl« am Pasinger Rathaus stark gemacht hat, lädt zur Namenslesung am 25. Januar ab 17 Uhr im Foyer der Kirche Leiden Christi in der Passionistenstraße 12 ein. Die Gedenkveranstaltung wird musikalisch von dem Klarinettisten Oliver Klenk begleitet. Der Eintritt zur Namenslesung im Foyer der Kirche ist frei.

Artikel vom 15.01.2017
Auf Facebook teilen / empfehlen Whatsapp

Weiterlesen





Wochenanzeiger München
 
Kleinanzeigen München
 
Zeitungen online lesen
z. B. Samstagsblatt, Münchener Nord-Rundschau, Schwabinger-Seiten, Südost-Kurier, Moosacher Anzeiger, TSV 1860, ...