Lieder, die verbinden

Worte zu Weihnachten von Pfarrer Dr. Florian Ihsen

Die evangelische Erlöserkirche an der Münchner Freiheit ist eine der Wirkstätten von Pfarrer Dr. Florian Ihsen.   	Foto: Jakob Piloty

Die evangelische Erlöserkirche an der Münchner Freiheit ist eine der Wirkstätten von Pfarrer Dr. Florian Ihsen. Foto: Jakob Piloty

Schwabing · Weihnachtslieder sind einfach großartig! »Stille Nacht« oder »O du fröhliche«, »Vom Himmel hoch, da komm ich her« oder »Ich steh an deiner Krippen hier«, »Adeste fideles« oder »Es ist ein Ros entsprungen«.

Wenn Sie mich nach einem Lieblingslied fragen: Ich könnte mich gar nicht für eines entscheiden. Mit vielen Liedern verbinde ich persönliche Geschichten und Menschen.

An Weihnachtsliedern fasziniert mich eines: Sie verbinden. Überzeugte, Suchende und Zweifelnde. Katholiken und Protestanten, Freikirchler und Religionslose. Ältere und jüngere Menschen, Einheimische und Flüchtlinge. Sie verbinden quer durch die Welt. Ob in München-Schwabing oder Berlin, Rom oder Tokyo, New York oder Mallorca, ob Kathedrale oder Wohnzimmer, Weihnachtsmarkt oder Seniorenheim: Überall singt man »Stille Nacht, heilige Nacht«.

Oft sind die Lieder selbst Einwanderer aus anderen Ländern: »Hark! The Herald engels sing« stammt aus dem Brexit-Land und unverzichtbar in ganz Europa. »O du fröhliche« stammt von den Stränden von Sizilien, wo heute Boote mit Flüchtlingen ankommen, um »Frieden auf Erden« zu suchen. Als »Stille Nacht« 1816 in Österreich entsteht, brodelt es in der Gesellschaft und in der Politik. Konservative werden stärker, Liberale schwächer. Und in der Urfassung von Stille Nacht heißt es in einer Strophe: »Jesus umschließt (umarmt, verbindet) die Völker der Welt«. Was politisch schier unmöglich scheint, das versuchen die Lieder mit ihrer Weihnachtsbotschaft: Eine hörbare Verbindung und Verbundenheit, auch mit Menschen und Kulturen, die uns fremd sind und bleiben. Das Singen kann in jedem Fall ein Anfang sein von Friede auf Erden.

Weihnachtslieder verbinden auch die Generationen und Zeiten. »Es ist ein Ros entsprungen« sangen schon meine verstorbenen Großmütter und viele Generationen vor ihnen. Ich gab und gebe das Lied gern an meine Patenkinder, Konfirmanden und Schüler weiter. Und es wird wohl auch noch erklingen, wenn wir nicht mehr da sind: »Das Blümelein so kleine … wahr Mensch und wahrer Gott, hilft uns aus allem Leiden, rette vor Sünd und Tod.« So manches dieser Lieder macht wie selbstverständlich ziemlich steile theologische Aussagen. Jesus – »wahr Mensch und wahrer Gott«; »Lasset uns anbeten, den König, den Herrn!«, »Gott ist im Fleische«, »Gott schenkt uns seinen Sohn«.

Und auch die weniger steilen Lieder haben alle den gleichen Grundton. Überzeugt und begeistert singen sie vom christlichen Glauben, dass Jesus, der Neugeborene, zentrale Bedeutung für unser Leben und Sterben hat und dass Friede auf Erden mit ihm werden kann.

Ist das so? Hat Jesus von Nazareth, hat der christliche Glaube zentrale Bedeutung für mein Leben? Ja – nein – vielleicht – weiß nicht – was würde ich ankreuzen?

Oder umgekehrt gefragt: Wäre Jesus nie geboren und gäbe es Weihnachten als sein Geburtsfest nicht – würde mir in meinem Leben etwas fehlen?

Weihnachtslieder antworten ein kräftiges »Ja« auf diese Fragen. Mein eigenes Ja ist nicht immer so kräftig, manchmal auch schwankend, hadernd oder müde.

Trotzdem: Ich stimme ein in die Lieder. Gern und kräftig. Das Lied gibt meiner Sehnsucht Sprache und Antrieb: So möchte ich gerne glauben – und leben.

»Ich steh an deiner Krippen hier, o Jesu, du mein Leben«. Nicht mehr und nicht weniger ist Weihnachten für mich: Ich stehe an der Krippe Jesu. Hier stehe ich mit meinem Leben, so wie es ist; und mit unserer Welt, so wie sie ist. Hier stehe ich und kann nicht anders.

Für Singen und Musik, im Gottesdienst oder zu Hause, nehme ich mir zu Weihnachten gern viel Zeit. Ich freue mich auf die Weihnachtsgottesdienste in unserer Erlöserkirche und im Münchenstift in der Rümannstraße und auch auf das gemeinsame Feiern, Singen und Musikhören mit meinen Lieben an den Weihnachtsabenden.

Die Lieder von Weihnachten sagen mir: Es wird gut werden mit meinem Leben und mit unserer Welt. Es wird gut werden, auch wenn ich für manches – noch – keine Lösungen sehe oder mich manch dunkle Stunde, wie gerade in Berlin, in tiefe Trauer stürzt. Ich will glauben, dass wahr ist und wahr wird, was wir in »Stille Nacht« singen: »Uns schlägt die rettende Stund, Jesus, in deiner Geburt«. Dr. Florian Ihsen

Artikel vom 21.12.2016
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