Der Patient im Focus

Interview mit dem Chefarzt der Anästhesie zum Thema »Patientenaufklärung«

Dr. Peter Lemberger, Chefarzt der Anästhesie in der Kreisklinik Ebersberg, beim Narkoseaufklärungsgespräch.	Foto: Sybille Föll

Dr. Peter Lemberger, Chefarzt der Anästhesie in der Kreisklinik Ebersberg, beim Narkoseaufklärungsgespräch. Foto: Sybille Föll

Ebersberg · Erkrankte Menschen wollen heute wissen, was bei einer Behandlung mit ihnen geschieht. Ärzte wiederum sind per Gesetz zur Aufklärung ihrer Patienten verpflichtet. Sie müssen darüber informieren, welche medizinischen Maßnahmen vorgenommen werden sollen, welche Mittel eingesetzt werden sollen und welche Risiken bestehen.

Insbesondere ein operativer Eingriff mit Narkose erfordert im Vorfeld eine umfassende Aufklärung. Warum das so wichtig ist und was zu einer optimalen Patienteninformation gehört, erläutert Dr. Peter Lemberger, Chefarzt der Anästhesie in der Kreisklinik Ebersberg.

Sybille Föll: Dr. Lemberger, was könnte passieren, wenn ein Patient vor einer OP nicht ausreichend informiert wird?

Dr. Peter Lemberger: Abgesehen davon, dass sich der behandelnde Arzt vor Gericht verantworten müsste, wenn während oder nach der OP Komplikationen auftreten, auf die er den Patienten vor dem Eingriff nicht hingewiesen hat, würde der Patient vielleicht eine unnötige Operation vornehmen lassen, die er im Wissen um die Risiken nicht hätte durchführen lassen, zum Beispiel eine Schönheits-OP. Oder er hätte einer OP zugestimmt, obwohl es alternativ dazu eine konservative Behandlungsmöglichkeit gegeben hätte. Auch über die verschiedenen Narkoseverfahren und ihre Risiken muss der Patient informiert sein, etwa Übelkeit und Erbrechen oder Zahnschäden bei einer Intubation, also der Einführung des Beatmungsschlauches in die Luftröhre. Eine umfassende Aufklärung gibt dem Patienten die Möglichkeit, sich für eine der empfohlenen Therapie- beziehungsweise Narkoseverfahren zu entscheiden. Für eine OP hat er im Regelfall mindestens 24 Stunden Bedenkzeit, für das Narkoseverfahren zwölf Stunden.

Wie sieht in der Anästhesie eine solche Patienteninformation vor einer Operation aus?

Dr. Peter Lemberger: In der Kreisklinik Ebersberg erhält jeder Patient einen sogenannten Anamnese- und Aufklärungsbogen. Zu einer umfassenden Patienteninformation gehört nicht nur die Aufklärung des Patienten, sondern auch der Patient muss dem Arzt wichtige Informationen liefern, damit der Eingriff möglichst risikoarm durchgeführt werden kann. Etwaige Vorerkrankungen und Allergien werden deshalb abgefragt, außerdem sind im Formular die verschiedenen Narkoseverfahren und ihre Risiken beschrieben. Wir haben für die Narkoseaufklärung eine sogenannte Prämedikationsambulanz. Im Wartebereich können die Patienten in Ruhe alles lesen und ausfüllen. Anschließend finden ein persönliches Gespräch mit dem Arzt sowie eine körperliche Untersuchung statt. Auf Grundlage der gesammelten Informationen spricht der Arzt dann seine Empfehlung für ein Narkoseverfahren aus. Zuletzt muss der Patient seine schriftliche Einwilligung geben.

Wie verfahren Sie bei Patienten, die nicht aufgeklärt werden können, also bei Notfällen?

Dr. Peter Lemberger: Lebensrettende Maßnahmen bilden hinsichtlich der Aufklärungspflicht eine Ausnahme. Hier geht der Gesetzgeber davon aus, dass jeder Arzt dem Patienten die bestmögliche Behandlung zukommen lässt und jeder Patient damit einverstanden ist, dass ihm durch eine Operation geholfen wird.

Und was geschieht bei Patienten, die aus anderen Gründen nicht selbst entscheiden können?

Dr. Peter Lemberger: Demenzkranke zum Beispiel werden in der Regel von bevollmächtigten Angehörigen betreut. Diese werden informiert und sollten dann im Sinne des Patienten entscheiden. Gibt es noch keinen Betreuer, können wir innerhalb von 24 Stunden vom Amtsgericht einen bestellen lassen. Das kann ein Angehöriger sein, ein Freund oder ein beruflicher Betreuer. Bei Minderjährigen entscheiden beide Elternteile.

Viele Menschen haben vor der Narkose mehr Angst als vor dem Eingriff selbst. Ist sie begründet?

Dr. Peter Lemberger: Bei einem weitgehend gesunden Menschen besteht kaum ein Risiko. Laut einer 2014 veröffentlichten Studie der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin (DGAI) und dem Berufsverband Deutscher Anästhesisten (BDA) beträgt bei ihnen die Zahl schwerer Zwischenfälle 7,3 pro einer Million Narkosen. Bei Patienten mit beispielsweise koronarer Herzerkrankung oder chronischen Atemwegserkrankungen besteht ein höheres Risiko, das wir aber durch die Auswahl eines jeweils geeigneten Narkoseverfahrens sowie verstärkter Überwachung der Vitalfunktionen mindern können.

Klären Sie über alle Risiken auf?

Dr. Peter Lemberger: Über unerhebliche, zum Beispiel minimale Schleimhautschäden an trockenen Lippen, nicht. Wir informieren über die häufigsten Risiken und solche mit erheblichen Folgen. Zu den häufigsten gehören zum Beispiel Zahnschäden bei der Intubation - meist, wenn die Zähne schon vorgeschädigt sind. Etwa zehn Prozent der Patienten klagen über Übelkeit beim Aufwachen aus der Narkose. Besonders betroffen sind Frauen und Nichtraucher. Seltener, aber mit erheblichen Folgen, ist die Aspiration. Das passiert insbesondere, wenn der Patient sich nicht an die Verhaltensregeln vor der OP gehalten und innerhalb der sechs Stunden davor noch etwas gegessen oder viel getrunken hat. Dann besteht die Gefahr, dass er erbricht, sich verschluckt und Erbrochenes in die Lunge gerät. Das kann zu einer Lungenentzündung führen. Deshalb ist die Nüchternheit vor Operationen so wichtig! Das gilt auch für Lokalanästhesien. Ein kleiner Schluck Wasser ist aber kein Problem, etwa um noch wichtige Medikamente einzunehmen wie blutdrucksenkende Mittel. Generell gilt: Je mehr wir über den Patienten wissen, desto besser können wir ein für ihn geeignetes Narkoseverfahren auswählen.

Sybille Föll

Artikel vom 31.08.2016
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