Lesen und lesen lassen

Eigene Verse auf dem Odeonsplatz – ein Selbstversuch

Lesend: Der Autor und sein Werk.	Foto: privat

Lesend: Der Autor und sein Werk. Foto: privat

München · Wer schreibt, der bleibt. Und wer vorliest, zum Beispiel das, was er so schreibt, muss schauen, wo er bleibt, zumal als unbekannter Gelegenheitslyriker, der ich, Volker Camehn, 51, bei aller Wertschätzung durch Freunde und mehr oder weniger Bekannte und Verwandte, ja bin. Im richtigen Leben bin ich übrigens WOCHENANZEIGER-Redakteur.

Da war die Veranstaltung »Stadtlesen«, die vom 11. bis 14. August auf dem Münchner Odeonsplatz stattfand, eine Art Open-Air-Bibliothek, doch eine schöne Gelegenheit, aus dem eigenen Werk was vorzutragen. Ich meine: Mitten in der City, großes Forum. Mehr Öffentlichkeit geht ja kaum. Gesagt und angefragt und getan.

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Sonntagnachmittag, 16 Uhr. Kneifen geht jetzt nicht mehr, besonders nach alldem Bohei und Tamtam, den ich im Vorfeld via Facebook, WhatsApp-Gruppe und nicht zuletzt als Ankündigung in dieser Zeitung (danke liebe Kolleginnen und Kollegen) veranstaltet hatte.

Vor mir jetzt also ein kleiner Tisch auf kleiner Bühne, ich sitze mit dem Rücken zur Feldherrenhalle, die mich energisch daran gemahnt, dass es ein Zurück (in jedem Wortsinn) nicht mehr gibt.
In meinem Eigenverlags-Büchlein »Prost & Prosa« habe ich ein paar Post-its geklebt. Lese-Reihenfolge ungewiss, eher so als Stütze. Spontan, mal sehen, was geht.

Hinter mir also das altehrwürdige Monument mit diesen Löwen aus Stein auf den Treppenseiten, vor mir und in freundlich desinteressiertem Abstand Menschen auf riesigen Sitzsäcken und unter Sonnenschirmen, manche lesend, viele dösend, einige abwartend. Misstrauische Blicke Richtung Poeten-Podium... Was kommt jetzt? Wer stört? Und warum?

Immerhin ein paar Freunde und Freundinnen sind auch da, schöne Überraschung, ich bin nicht ganz alleine. Räuspern. Ein paar freundliche Worte von wegen »entspannte Atmosphäre hier« und darum eben das erste Gedicht zum Thema »Müßiggang«: »Der Müßiggang nahm seinen Lauf...«

Dank Mikrofon, Bombenakustik und der flächenbeschallenden Lautstärke dröhnen die Textzeilen wie ein Kampfansage zum 1. Mai über die Köpfe der Zuhörer hinweg.
Ich merke schnell: Dies ist kein Ort für filigran-feinsinnige Details, hier ist die große dichterische Geste gefragt. Bloß niemanden überfordern. Locker bleiben. Und hey: Ich will Spaß!

Erster freundlicher Applaus. Immerhin. Nächster Text.

Im Augenwinkel links sehe ich eine ältere Dame stehenbleiben, neugierig, unsicher ob der ihr unbekannten Verse.

Immerhin: Sie bleibt stehen.

Rechts vorne, zwei junge Frauen, die mich kritisch zu mustern scheinen. Sympathie? Interesse an Dichter und Werk? Verachtung? »Männer sind praktisch« heißt einer der folgenden Texte, danach gibt’s gleich »Frauen sind auch praktisch«, haha... Wegen der »Emanzipation« und überhaupt.

Finden die das jetzt doof? Ich meine, ich lebe auf dem Land und mein Kenntnisstand in Sachen Genderdebatte mag nicht der hipste sein. Gleich beschimpfen die mich bestimmt als blöden Macho, reißen mir das Mikrofon weg und fordern die Abschaffung des Patriarchats...

Nichts davon passiert. Sie hören weiter zu, ob es ihnen gefällt, ist schwer auszumachen. Aber sie bleiben. Reglos, undurchsichtig. Aber sie bleiben. Sieg nach Punkten? Zumindest nix verloren. Ich habe das Gefühl Neugier geweckt zu haben. Es macht Spaß.

»Jetzt etwas Politisches...« höre ich mich sagen und spüre wie mir langsam der Übermut den Rücken raufkrabbelt.

Freundlicher Applaus.

Nach einer knappen halben Stunde: »Ich komme jetzt zum Schluss und Höhepunkt, mein Opus magnum«, kündige ich das letzte Gedicht an, was relativ lang ist (im Buch mehrere Seiten) und auf allen Lesungen stets für viel Heiterkeit gut ist.

»Lars, das war’s!«, eine eigentlich ganz normale Geschichte über das ganz normale Scheitern, das man selbst gar nicht so merkt. Oder so.

Egal, kommt immer prima an. Eine halbe Stunde vorbei. Klasse. Ich. Odeonsplatz. Freundliches Schlussklatschen. Über mir ein knatschblauer Himmel. Hinter mir immer noch die Löwen aus Stein. Der Schreiber bleibt noch etwas.

Und ganz ehrlich: Ich möchte in diesem Moment mit niemandem tauschen.

Volker Camehn

Artikel vom 23.08.2016
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