Unsichtbarer Protest

München · Plakate wurden umgehend entfernt

München · Die Grenze zwischen Kunst und Beleidigung ist spätestens seit der extra3-Satire um den türkischen Präsidenten Erdogan fließend. Ob bei der jüngsten Aktion in München allerdings von einer der beteiligten Seiten diese Grenze überschritten wurde, ist umstritten. Was war passiert?

Der Münchner Künstler Andreas Paul Schulz hat den Sicherheitszaun rund um die Theresienwiese als Ziel einer künstlerischen Aktion auserkoren. ­Pikant: Dabei hat er auf satirische Weise (oder doch beleidigend?) den Münchner Oberbürgermeister Dieter Reiter aufs Korn genommen. Schulz hat 20 wetterfeste Plakate mit Kabelbindern am Zaun angebracht, auf denen eine Person zu sehen ist, deren Gesichtszüge aus denen des Oberbürgermeisters und denen des früheren Staatsratsvorsitzenden der DDR, Walter Ulbricht, zusammengesetzt sind. Darunter stehen die Worte: »Niemand hat die Absicht, einen Zaun zu errichten! Walter Reiter«. Damit spielt Schulz auf die legendäre Pressekonferenz vom 15. Juni 1961 an, in der Ulbricht wider besseres Wissen behauptete, die DDR-Führung wolle in Berlin keine Mauer bauen. Wenige Wochen später begann der Bau. Der fiktive Walter Reiter auf dem Plakat trägt darüber hinaus das Parteiabzeichen der SED am Revers. Starker Tobak.

»Niemand hat die Absicht, einen Zaun zu errichten!«

Explizit richtet sich die Kritik des Künstlers gegen den Zaun an sich: »Wenn selbst ernannte Sicherheitsexperten auf alles, was sie als Problem wahrnehmen, mit der Errichtung eines Zauns antworten, so spricht vielleicht gerade daraus die Haltung, die erst die Unsicherheit aufruft. Ein Zaun ist immer Teil des Problems und nie Teil einer Lösung.«

Angebracht hatte Schulz die Plakate eigenen Angaben zufolge am Donnerstag, 4. August, an »diesem unsäglichen Gitterwerk«, wie er selbst sagt. Am Montag, 8. August, seien alle Plakate entfernt gewesen. Wer das angeordnet hatte, wusste der Künstler zunächst nicht. Daher war er entsprechend verärgert: »Eifrige Hüter von Zucht und Ordnung haben meinen öffentlichen Einspruch gegen die Umzäunung der Theresienwiese dem Blick der Allgemeinheit entzogen. Weil der Zaun eindeutig der Theresienwiese zugeordnet ist, handelt es sich bei diesem um einen Teil des öffentlichen Raums. Das ist der eigentliche Ort für die Entfaltung der verfassungsmäßig gesicherten Meinungsfreiheit.« Die ausgrenzende Wirkung des Zauns sei durch die Plakate nicht beeinträchtigt worden. Auch sonst habe es keinen praktischen Grund für die Entfernung der Plakate gegeben, moniert Schulz. »Somit richtet sich die Beseitigung der Plakate eindeutig gegen deren Aussage. Und das ist Zensur.«

Das sieht man im Referat für Arbeit und Wirtschaft, das für die Organisation des Oktoberfests verantwortlich ist, erheblich anders. Auf Anfrage des Münchner Samstagsblatts antwortete Referatssprecher Wolfgang Nickl: »Der Zaun um die Baustelle Theresienwiese ist keine öffentliche Plakatwand. Sämtliche Anschläge dort werden ohne besondere Anordnung routinemäßig vom Sicherheitsdienst entfernt, der die Wiesnbaustelle bewacht.«

Dem widerspricht Schulz: »Ein Vertreter des Sicherheitsdienstes sagte mir wörtlich: ›Meine Leute machen so was nicht. Das kann ich Ihnen versprechen.«

Auf eine Reaktion aus dem Rathaus hatte Schulz mindestens bis Donnerstag vergeblich gewartet. Hinsichtlich des Eigentumsrechts an den Plakaten meinte Nickl sachlich: »Wer die abgehängten Plakate vermisst, kann sie in der Veranstaltungsabteilung des Referats für Arbeit und Wirtschaft im Servicezentrum Theresienwiese, Matthias-Pschorr-Straße 4, abholen.« Von Carsten Clever-Rott

Artikel vom 11.08.2016
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