»Wir sind handlungsfähig«

Robert Niedergesäß zur aktuellen Flüchtlingssituation im Landkreis Ebersberg

Landrat Robert Niedergesäß (CSU) sieht den Landkreis Ebersberg in Sachen »Flüchtlingskrise« gut aufgestellt. 	Foto: Landratsamt Ebersberg

Landrat Robert Niedergesäß (CSU) sieht den Landkreis Ebersberg in Sachen »Flüchtlingskrise« gut aufgestellt. Foto: Landratsamt Ebersberg

Ebersberg · »Wir geraten an Grenzen«: Dies waren die Worte von Landrat Robert Niedergesäß (CSU) bei unserem letzten Interview zur Flüchtlingssituation im Landkreis Ebersberg (Ausgabe 2/16). Inzwischen ist bei dem Thema, wenn nicht Entspannung, so doch Routine eingekehrt. Oder doch nicht?

Was passiert wenn der Flüchtlingszustrom wieder steigt? Wie sind die Planungen des Landratsamtes? Noch immer bewegen die Bürger im Landkreis viele Fragen. Der Kurier Ebersberg hat sie dem Landrat gestellt.

Kurier Ebersberg: Herr Niedergesäß, bei unserem letzten Gespräch im Januar sah es nicht nach einer Entspannung in der Flüchtlingssituation aus. Wie beurteilen Sie die gegenwärtige Situation?

Robert Niedergesäß: Die Situation hat sich seit Januar entscheidend verändert – zum Glück! Diese Entwicklung war damals keineswegs absehbar. Seit Mitte März bekommen wir keine neuen Asylbewerber und Flüchtlinge mehr zugewiesen. Das ist aber kein Verdienst unserer Bundesregierung, sondern unter anderem der  Schließung der Balkan-Route zu verdanken. Wir brauchen diese aktuelle Entspannung auch dringend, so wäre es nicht weitergegangen. Sie hat uns auch in die Möglichkeit versetzt, endlich wieder aus den Turnhallen des Landkreises ausziehen zu können und diese dem Schul- und Breitensport zurückzugeben.           

Die Regierung von Oberbayern hat Ende April einen Baustopp für neue Unterkünfte verordnet. Wie wirkt sich dies konkret auf die Gemeinden im Landkreis aus?

Niedergesäß: Konkret bedeutet das, dass derzeit keine neuen Einrichtungen weiterverfolgt werden können, aber schön langsam lichtet sich der Nebel zum Glück wieder. Die geplante Unterkunft am Föhrenweg in Vaterstetten z.B. soll nun durch den Staat realisiert werden. Wir warten dringend auf die Genehmigung weiterer Einrichtungen, weil der Staat ja auch die Traglufthallen als teure Einrichtungen im Visier hat. Wenn die Traglufthalle in unserem Landkreis bis in einem Jahr wieder geschlossen werden soll, brauchen wir entsprechend gut 300 Plätze in anderen Einrichtungen. Zudem ist ja nicht ganz ausgeschlossen, dass auch künftig wieder Menschen zu uns kommen. Zumal der Landkreis Ebersberg im Moment die von der Regierung von Oberbayern errechnete Quote unterschreitet.      Gibt es neue Prognosen über die noch zu erwartenden Flüchtlingszahlen, an denen sich auch der Landkreis bei seinen Planungen orientiert?

Niedergesäß: Nein, derzeit heißt es, es gibt bis auf weiteres keine neuen Zuweisungen in die Landkreise. Ob und wann und wie sich das ändern wird, das weiß keiner. Das ist Kaffeesatzleserei. Wir orientieren uns also zunächst daran, dass wir Ersatz für die Traglufthallen planen und auch zumindest einen kleinen Puffer vorhalten müssen.

Nach welchem Schlüssel wird die Verteilung vorgenommen. Mehr zentral oder dezentral?

Niedergesäß: Bundesweit wird ja nach dem Königsteiner Schlüssel verteilt, eine Mischung aus Einwohnerzahl und Wirtschaftskraft. Dieser endet aber rechtlich an den Grenzen der Landkreise und kann nicht auf die Gemeinden heruntergebrochen werden. Wir haben also nach Möglichkeiten verteilt - unsere Schulen, verfügbarer Wohnraum, etc …, wir versuchen dabei möglichst gerecht zu verteilen und alle Gemeinden in die Pflicht zu nehmen.

Sie fordern seit längeren, dass die Schulturnhallen als Notunterkünfte geräumt werden sollten. Wie ist hier der aktuelle Stand?

Niedergesäß: Die letzte von vormals sechs Turnhallen, die in Poing an der Realschule, wird in den nächsten Wochen frei und nach einer Renovierungsphase wieder dem Schul- und Breitensport zurückgegeben, endlich. Eine erneute Nutzung der Turnhallen möge uns für die Zukunft erspart bleiben!

Wie steht es um das eingeplante Budget? Zuletzt gab es Meldungen von ausbleibenden Zahlungen des Freistaates. Sind die Kosten derzeit geringer oder höher als erwartet?

Niedergesäß: Wir haben die offenen Punkte mittlerweile klären können, die Zahlungen gehen ein, wir sind im Plan. Am Ende trägt der Freistaat gut 90 % der Gesamtkosten. Das ist ein Spitzenwert in Deutschland, in anderen Bundesländern blieben die Kommunen bisher auf über 70 Prozent der Kosten sitzen.    

Gibt es noch einen planerischen und finanziellen Notfallpuffer für unerwartete Entwicklungen? Was ist wenn die Flüchtlingszahlen wieder stark ansteigen?

Niedergesäß: Falls es wieder losgeht und die Zahlen steigen, haben wir noch Stellen im Stellenplan, die wir bisher nicht besetzen mussten. Objekte hatten wir ja auch geplant, die Planungen wurden vom Freistaat vorübergehend gestoppt, das wird sich hoffentlich bald klären. Und die Kosten trägt ja zu gut 90 Prozent der Staat. Im Krisenmodus sind wir erprobt und wären handlungsfähig. Natürlich hoffen wir, dass es nicht wieder so weit kommen wird.   

Viele Bürger befürchten auf Dauer negative Auswirkungen auf die ohnehin schon angespannte Wohnraumsituation. Können Sie Entwarnung geben?

Niedergesäß: Nein leider (noch) nicht! Bezahlbarer Wohnraum ist im Umland von München Mangelware. Es wäre also unseriös zu behaupten, dass es hier keine Flächenkonkurrenz gäbe. Kleinere Asylunterkünfte sind in Wohnobjekten untergebracht und anerkannte Flüchtlinge müssen sich Wohnraum suchen.

Das wird sich aber auf Dauer hoffentlich wieder verbessern, weil Städte und Gemeinden, der Staat und Private neuen bezahlbaren Wohnraum ermöglichen, Wohnungen bauen und damit dringend das Angebot ausbauen, übrigens für alle Bürger!

Wie geht es mit der Integration der Flüchtlinge voran, gibt es bereits Erfolgsmeldungen, macht sich die Zuwanderung bereits auf einigen Gebieten positiv bemerkbar?

Niedergesäß: Landratsamt, Jobcenter, Arbeitsagentur, Sprachkursträger, Berufsschulen etc. arbeiten dazu eng zusammen, so dass laufend für die Zielgruppe passende berufspraktische Qualifizierungsangebote mit Sprachförderung angeboten werden können. Im Jahr 2015 konnte insgesamt 250-mal eine Arbeitserlaubnis für Asylbewerber ausgestellt werden, bis Juni 2016 200-mal. Darüber hinaus haben Viele Praktika absolviert, für die keine Arbeitserlaubnis notwendig ist.

Immer wieder werden Asylbewerber aus einem Praktikum heraus in ein Arbeitsverhältnis übernommen – meist im sogenannten „Helferbereich“ in den verschiedensten Branchen. Auch in einem ganz anderen Feld funktioniert die Integration von Asylbewerbern sehr gut: In den Sportvereinen, besonderes beim Fußball.

Lieber Herr Niedergesäß, wir danken Ihnen für das informative Gespräch!

Das Interview führte Stefan Dohl.

Artikel vom 10.08.2016
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