Zeitzeuge im Gymnasium Höhenkirchen-Siegertsbrunn

Ottobrunn · Menschlichkeit bewahren

Henry Rotmensch erzählte den Schülern, dass er als Jugendlicher Zwangsarbeit verrichten musste und in acht Lagern der Nationalsozialisten war.	Foto: privat

Henry Rotmensch erzählte den Schülern, dass er als Jugendlicher Zwangsarbeit verrichten musste und in acht Lagern der Nationalsozialisten war. Foto: privat

Ottobrunn · Wie gelingt es Geschichtslehrern, den Schülern ein so schwieriges Kapitel der deutschen Geschichte wie die Vernichtungspolitik der Nationalsozialisten zu vermitteln?

Eine Antwort auf diese Frage bot der Zeitzeugenvortrag am Gymnasium Höhenkirchen-Siegertsbrunn: Henry Rotmensch sprach erstmals in einer Schule. Vor 120 Schülern der 9. und 10. Klassen berichtete er über Zwangsarbeit und Verfolgung als Jude während des Nationalsozialismus.

Zwangsarbeit mit Vierzehn

Henry Rotmensch, geboren im polnischen Bedzin, wurde bereits als 14-Jähriger 1939 ohne Wissen seiner Eltern ins Arbeitslager Johannsdorf deportiert. Er leistete Zwangsarbeit für die Reichsautobahn, war als Zimmermann ungesichert auf Baugerüsten tätig und musste bei viel zu geringen Essensrationen in einer Lehmgrube und in Fabriken arbeiten. Schnell erkannte er, dass Fleiß und gute Arbeit wichtige Überlebensstrategien im Lager waren. So gelang ihm der »Aufstieg« zum Lokomotivführer. Doch die Liste der Stationen, die er durchlief und durchlitt, schien kein Ende zu nehmen.

Insgesamt war Henry Rotmensch in acht verschiedenen Lagern inhaftiert, darunter die Konzentrationslager Groß-Rosen, Buchenwald und Spaichingen. Das Sterben von Freunden und Lagergenossen gehörte zum Alltag des heute 91-Jährigen. Sein Bericht wird dabei nie zur Anklage: Wichtig ist ihm, immer wieder von Menschen zu berichten, die ihm Essen zugesteckt, ihn gedeckt hatten und ihm das Leben gerettet hatten. Die Schüler bekommen eine Ahnung davon, wie er – damals etwa genauso alt wie seine Zuhörer heute – das Leid ertragen konnte: Er hatte sich offenbar in all der Unmenschlichkeit immer den Blick für das Menschliche bewahrt und unterstützte Kameraden, so gut er konnte.

»Ich bin wieder ein Mensch«

Seine Mutter starb im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau, sein Vater wurde auf offener Straße erschossen. Sein Bruder wanderte nach Israel aus, kam dort aber bereits 1949 im Krieg ums Leben. Rotmensch befand sich auf dem Todesmarsch nach Tirol, als die französische Armee ihn bei Bad Wurzach befreite. Auf die Frage, wie er nach dem Krieg in Deutschland bleiben konnte, meint er: »Da war ich wieder ein Mensch.« Die Nazis konnten ihm seine Würde als Mensch nicht rauben. Die anrührende Offenheit, die authentischen Schilderungen und die lebensfrohe Art des 91-Jährigen fesseln die Schüler bis zum Schluss.

Erster Vortrag vor Schülern

Die Sozialwissenschaftlerin Birgit Mair moderierte den Vortrag mit viel Gespür. Seit Jahren begleitet die Buchautorin, Rechtsextremismus-Expertin und Mitbegründerin des Instituts für sozialwissenschaftliche Forschung, Bildung und Beratung e.V. Holocaust-Überlebende bei Zeitzeugengesprächen. Für den ersten Besuch an einer Schule mit Henry Rotmensch hat sie sich bewusst für das Gymnasium Höhenkirchen-Siegertsbrunn entschieden. Bereits vergangenes Jahr sei sie hier mit einer Zeitzeugin auf ein sehr aufmerksames Publikum und gute Rahmenbedingungen gestoßen. Ihm habe es gut getan, sich alles einmal von der Seele zu reden, sagt Henry Rotmensch über den Vortrag. Er ist gerne bereit, seine Lebensgeschichte auch an andere Schüler weiterzugeben. Eine Kontaktaufnahme ist über www.isfbb.de möglich. Beate Karg / Claudia Gantke

Artikel vom 20.04.2016
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