Die Angst schwingt mit

Verena Brams hat MS und damit kann nicht jeder umgehen

Multiple Sklerose ist kein Siechtum – Verena Brams hat was gegen Vorurteile.	Foto: Marie Endress

Multiple Sklerose ist kein Siechtum – Verena Brams hat was gegen Vorurteile. Foto: Marie Endress

München · Im Leben von Verena Brams gab es zwei dramatische Wendepunkte. Bei einem ging es um Leben und Tod. Der andere war die Diagnose »Multiple Sklerose«.

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»MS ist nicht gleich Siechtum«, sagt die 28-Jährige, die bewusst offen mir ihrer Krankheit umgeht. Das war nicht immer so. Vor acht Jahren, mitten in den Abiturprüfungen, trat MS in das Leben der jungen Frau. »Mein Körper hat verkrampft und ist steifer geworden. Ich konnte nicht mal mehr schreiben.« Sie begab sich in ärztliche Behandlung, der Verdacht auf MS war da. »Vor der Diagnose war die Angst«, beschreibt Verena Brams den quälenden Zustand zwischen Hoffen und Bangen. Dann die niederschmetternde Diagnose, begleitet von starken Schüben der Krankheit. »Ich fiel in ein tiefes Loch, bekam Depressionen und litt unter Schlaflosigkeit«, erzählt sie. Dagegen nahm sie Schlaftabletten in immer höherer Dosierung. »Ich hab die Dinger gegessen wie andere Leute Gummibärchen«, bekennt sie heute. Verena Brams wurde abhängig. Das war der zweite Wendepunkt. Ihr Leben stand auf der Kippe. Doch Verena Brams war wach genug, um ihre Abhängigkeit zu erkennen – und was dagegen zu unternehmen.

Sie hat die Kurve gekriegt und steht heute mitten im Leben. Zu verdanken hat sie das auch einem Umfeld, das ihr Sicherheit gegeben hat. Ihr damaliger Freund, die medizinische Versorgung im Krankenhaus Rechts der Isar, der Rückhalt ihres Arbeitgebers und die Unterstützung aus dem Freundeskreis. Auch wenn sie heute sagt, dieser Freundeskreis habe sich damals verändert, sei seitdem stabil. »Für die gehe ich durchs Feuer, das sind Menschen, die ich heiß und innig liebe«, sagt sie heute. Natürlich kennen sie alle die besondere Situation von Verena Brams. Weil sie jeden ins Vertrauen zieht, von dem sie denkt, dass er Bescheid wissen muss, hat die 28-Jährige auch so manche Enttäuschung ­erlebt. Freunde haben sich verändert, potenzielle Arbeitgeber zeigten sich beim Vorstellungsgespräch nach dem »Coming-Out« deutlich reservierter. Anders ihr Ausbilder nach dem Abitur. Zunächst hielt Verena Brams ihre Erkrankung geheim, sammelte aber krankheitsbedingt Fehlzeiten. Dann kam die Stunde der Wahrheit – und die überwältigende Reaktion des Arbeitgebers: »Verena, wie können wir dir helfen?«

Erfahrungen wie diese treiben sie an: »Ich möchte anderen Menschen helfen«, mit ihrer Geschichte, aber auch ganz praktisch als Ansprechpartnerin in entsprechenden Foren. Außerdem engagiert sie sich bei der Deutschen Multiple Sklerose Gesellschaft (DMSG).

Mittlerweile kann Verena Brams wieder ein weitgehend normales Leben führen – abgesehen von unterschiedlich schweren gesundheitlichen Beeinträchtigungen. Und noch etwas ist anders: »Die Angst schwingt immer mit.«

Niemand kann den Verlauf der Krankheit vorhersagen. Sie ist nicht heilbar. Man kann sie eine Zeitlang bremsen, indem man das Immunsystem unterdrückt. Das aber ist wieder mit der Gefahr verbunden, anderweitig schwer zu erkranken. Kein Dauerzustand.

Die Krankheit ist ein Feind. »Ich hadere auch damit, aber das Leben geht ja trotzdem immer weiter«, hat Brams erkannt. Neben ihrer Arbeit hat sie begonnen Schmuck herzustellen. Alles Handarbeit, alles selbst beigebracht. Inzwischen verkauft sie den Schmuck auch, nicht als Broterwerb, sondern als Hobby. Fragile Schmuckstücke, Ketten, Armreife, Ohrringe, Anhänger, die sie in ihrer kleinen Werkstatt anfertigt, obwohl sie durch die MS deutlich weniger in den Fingern und Handflächen spürt. »Das ist, als ob man permanent Frischhaltefolie übergezogen hat«, erklärt sie. Das Gefühl ist noch da, aber anders und weniger intensiv. Was Verena Brams herstellt, zeigt sie unter www.pinksombrero-crafts.de sowie auf Facebook (PinkSombrero Crafts).

MS ist heimtückisch, sie ist aggressiv und trotz jahrzehntelanger Forschung noch immer nicht enträtselt. Aber MS ist kein Todesurteil und auch kein Stigma. Man kann damit leben, je nach Ausprägung mehr oder weniger gut. Im Leben von Verena Brams dreht sich vieles um MS, aber nicht alles. Die Schmuckherstellung ist der Gegenentwurf. Die MS ist immer dabei, war indirekt sogar der Auslöser für diese Passion. Verena Brams lässt sich nicht unterkriegen. Sie sagt: »MS, ich mach dich schmuck« – und lebt damit. Von Carsten Clever-Rott

Artikel vom 04.03.2016
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