Interview mit Landrat Robert Niedergesäß zur Flüchtlingsthematik

Ebersberg · »Wir geraten an Grenzen«

»Das System wird bald zusammenbrechen, wenn das so weiter geht«, warnt Ebersbergs Landrat Robert Niedergesäß (CSU). 	Foto: LRA Ebersberg

»Das System wird bald zusammenbrechen, wenn das so weiter geht«, warnt Ebersbergs Landrat Robert Niedergesäß (CSU). Foto: LRA Ebersberg

Ebersberg · 2015 hat ein Thema die deutsche Medienlandschaft und auch unsere Ausgaben des Kurier Ebersberg beherrscht: Der nicht abreißende Strom der Flüchtlinge aus den Krisengebieten dieser Welt. Und auch 2016 ist noch kein Ende dieses traurigen Trends in Sicht.

Wir haben mit Landrat Robert Niedergesäß (CSU) darüber gesprochen, wie es in diesem Jahr weiter gehen wird.

Kurier Ebersberg: Wie viele Asylbewerber hat der Landkreis 2015 aufgenommen?

Robert Niedergesäß: Anfang 2015 lebten fast 400 Asylbewerber im Landkreis Ebersberg. Derzeit sind es schon 1.500, einschließlich der Notfallplanbelegung in Vaterstetten und den über 100 unbegleiteten Minderjährigen.

Wie sehen die Zahlen für 2016 aus?

Niedergesäß: Wir haben noch keine staatliche Prognose für 2016, befürchten aber auf der Basis unserer Erfahrungswerte und den gegebenen Umständen gleich hohe Zugangszahlen wie in diesem Jahr. Wir planen derzeit eine Verdoppelung der Kapazitäten, wollen aber wieder aus den Turnhallen des Landkreises heraus.

Werden zur Unterbringung von Asylbewerbern auch Traglufthallen im Landkreis gebaut werden? Wenn ja, an welchen Standorten?

Niedergesäß: Derzeit sind zwei Standorte in Umsetzung und Vorbereitung – einmal in Pliening und dann in Poing, Ortsteil Grub. Weitere Standorte müssten aber noch folgen.

Viele Unterbringungsmaßnahmen sind als Übergangslösungen geplant. Wie sieht es aus, wenn der Flüchtlingsstrom weiter anhält?

Niedergesäß: Bis Mitte 2016 haben wir Planungen für 1.500 Plätze – ob sie sich alle verwirklichen lassen, können wir natürlich noch nicht abschließend sagen. Aber es sind Planungen, die schon sehr konkret sind. Auch weitere Optionen prüfen wir täglich, weil das vermutlich noch nicht das Ende der Fahnenstange sein wird. 2016 habe ich ein klares Ziel: Ich möchte raus aus den Schulturnhallen! Die dauerhafte Belegung ist eine Zumutung für die Schüler und für die Sportvereine, die eine sehr wichtige gesellschaftliche Funktion haben und ihrem Auftrag nicht mehr gerecht werden können. Letztlich sind die Turnhallen aber auch für die Flüchtlinge selber unzumutbar.

Was kostet die gesamte Betreuung der Flüchtlinge im Landkreis und wer kommt dafür auf?

Niedergesäß: Kostenträger für Unterbringung, Schaffung von Unterkünften und Leistungen an die Asylbewerber ist der Freistaat Bayern. Wenn dem Landkreis in diesem Zusammenhang Kosten entstehen, kann er sie sich wieder refinanzieren lassen. Die Personalkosten gehen weitgehend zu Lasten des Landkreises, mit Ausnahme der Hausmeister für die Unterkünfte und der Sozialpädagogen zur Betreuung der unbegleiteten Minderjährigen. Wir werden die stark gestiegenen Kosten für das zusätzlich notwendige Personal jedoch dem Freistaat gegenüber anzeigen. Für 2016 stehen insgesamt Kosten von 16 Mio. Euro an, davon werden gut 90 Prozent vom Freistaat getragen, auf 10 Prozent der Kosten bleiben wir derzeit noch sitzen. Das ist bundesweit fast schon ein Traumwert – Bayern leistet hier sehr viel – aber natürlich für uns immer noch ein dicker Brocken.

Werden im Landratsamt neue Stellen zur Bewältigung der Herausforderung geschaffen?

Niedergesäß: Ja, 2016 werden im Bereich »Asyl« fünfzig Stellen geschaffen. 17 für die Betreuung nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, 16 bei der Betreuung unbegleiteter Minderjähriger, drei Stellen im Jobcenter, vier Stellen im Ausländeramt und eine im Gesundheitsamt. Dazu kommen neun, die heuer über den Stellenplan hinaus schon besetzt werden mussten. Von diesen 50 Stellen werden 30 staatlich refinanziert, 20 gehen derzeit auf unser Konto!

Wie sieht es mit der Bleibe-Perspektive für die Asylbewerber aus?

Niedergesäß: Bundesweit haben bis einschließlich Oktober über 41 Prozent der Asylbewerber einen Schutzstatus erhalten. Flüchtlinge aus Syrien und Eritrea haben eine noch höhere Bleibeperspektive.

Welche Integrationsmaßnahmen hat der Landkreis bisher ergriffen? Sind weitere in Planung?

Niedergesäß: Seit Januar 2014 gibt es im Landratsamt eine Integrationsbeauftragte. Die Asylsozialberatung wurde mit Personal der Caritas und des Landkreises verstärkt. Seit Oktober 2015 gibt es in Zusammenarbeit mit dem Kreisbildungswerk Supervisionsangebote für Ehrenamtliche, die ja eine wesentliche Rolle bei der Integration innehaben. Für ihre Arbeit haben wir einen Leitfaden entwickelt. Für 2016 planen wir, im Landratsamt eine Stelle »Koordinierung Ehrenamt und Asyl« einzurichten. Ausgebaut worden sind die Möglichkeiten für Asylbewerber zur gemeinnützigen Arbeit. Die Integration vor Ort schaffen wir nur in Zusammenarbeit mit den Gemeinden. Die Betreuung und Integrations­chancen von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen verbessern wir beispielsweise auch dadurch, dass wir neue Arbeitsplätze im Jugendamt schaffen.

Wie beurteilen Sie persönlich die Lage im Landkreis? Sind die Kommunen der Anzahl an Asylbewerbern gewachsen?

Niedergesäß: Die einzelnen Kommunen im Landkreis und der Landkreis selbst kommen deutlich an ihre Grenzen, wenn immer mehr Asylbewerber noch dazu in diesem Tempo untergebracht und betreut werden müssen, 61 Menschen zusätzlich pro Woche sind zu viel – auch die Helferkreise stoßen an die Grenzen der Belastungsfähigkeit. Das System wird bald zusammenbrechen, wenn das so weitergeht. Schließlich machen sich unsere Bürger zunehmend Sorgen um die Zukunft ihrer Heimat, dies muss man sehr ernst nehmen! Land, Bund und insbesondere auch Europa müssen hier Lösungen finden, und zwar rasch! Absolut notwendig wäre beispielsweise eine gerechtere Verteilung der Flüchtlinge in Europa, wir brauchen klare Kontingente und damit auch Obergrenzen. Es geht schlichtweg nicht, einzelne Regionen komplett zu überfordern, während andere sich fein raushalten. Solidarität sieht anders aus und muss hier dringend eingefordert werden.

Das Interview führte Stefan Dohl

Artikel vom 12.01.2016
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