Blick hinter die Kulissen

Tag der offenen Tür in der Heckscher Klinik am 10. Oktober

Prof. med. Franz Joseph Freisleder ist nicht nur Ärztlicher Direktor des renommierten Hekcscher-Klinikums – sondern auch ein wichtiger Architekt und Wegbereiter moderner wie zeitgemäßer Kinder- und Jugendpsychiatrie.	Foto: HH

Prof. med. Franz Joseph Freisleder ist nicht nur Ärztlicher Direktor des renommierten Hekcscher-Klinikums – sondern auch ein wichtiger Architekt und Wegbereiter moderner wie zeitgemäßer Kinder- und Jugendpsychiatrie. Foto: HH

Giesing · Das kbo-Heckscher-Klinikum in der Deisenhofener Straße 28, veranstaltet am Samstag, 10. Oktober, von 10 bis 16 Uhr einen Tag der offenen Tür und bietet dabei spannende und hoch informative An- und Einsichten zur vielseitig fordernden Arbeit in der Kinder- und Jugendpsychiatrie.

Eine Reihe von Fachvorträgen (etwa zum Themenkomplex ADHS, zur Notfallversorgung im Akut- und Suchtbereich) wechseln mit Führungen durch Stationen oder die Tagesklinik sowie vielen weiteren Info-Angeboten.

Anlässlich dieser wichtigen Veranstaltung hat die Harlachinger Rundschau mit dem Ärztlichen Direktor, Professor Dr. med. Franz Joseph Freisleder ein Gespräch geführt.

Herr Professor, das kbo Heckscher-Klinikum gehört seit vielen Jahren zu den renommiertesten Kinder- und Jugendpsychiatrischen Einrichtungen im deutschsprachigen Raum. Worauf führen Sie diesen außerordentlichen Erfolg und diese Marktstellung zurück? Was ist die Maxime der Klinik?

Professor Freisleder: Da wären zunächst die schiere Größe und die lange Historie zu nennen. An insgesamt acht Standorten mit der Zentrale hier in Giesing decken wir eine enorme Palette des Helfens, Betreuens und Heilens ab. Wir bieten ein vielseitiges Angebot von der Behandlung in der Tagesklinik bis hin zu offenen und geschlossenen Stationen für das gesamte Kindes- und Jugendalter bis zur Volljährigkeit. Allein hier in München stehen derzeit 68 voll und 44 teilstationäre Behandlungsplätze zur Verfügung. Ambulanzen und therapeutische Wohngruppen ergänzen das Portfolio. Insgesamt bieten wir über 200 voll- und teilstationäre Plätze. Insgesamt rund 600 Mitarbeiter aller in der Psychiatrie relevanten beruflichen Sparten kümmern sich um unsere Patienten. Seit 1929 kann das Klinikum auf eine jahrzehntelange Erfahrung zurückblicken und hat seine Therapiekompetenz und die Behandlungsmöglichkeiten regelmäßig und stetig ausgebaut. Wir fühlen uns einer optimalen therapeutischen Betreuung psychisch kranker Kinder und Jugendlicher verpflichtet. Unser Image lautet und muss lauten: Auf unsere Hilfe kann man sich verlassen! Unterstützen, helfen, heilen und Zukunft geben!

Welche sind die wichtigsten Säulen des Klinik-Betriebes?

Professor Freisleder: Da wäre natürlich die Notfall-Ambulanz hier im Hause zu nennen. Hier kommen Menschen mit suizidaler Gefährdung an. Wir machen uns zunächst ein umfangreiches Bild vom jungen Patienten und nehmen ihn dann bei Bedarf in eine der sieben Stationen (davon drei geschlossene Stationen) auf. Eine weitere wichtige Säule ist die Tagesklinik. Hier sind die Familien eng miteinbezogen. Die jungen Patienten werden hier werktäglich betreut, schlafen aber zu Hause bei den Eltern. Dazu bieten wir an sieben weiteren Standorten in Oberbayern die gesamte Palette klinischer Versorgung, ambulanter Betreuung und therapeutischer Wohngruppen. In Wasserburg-Gabersee betreiben wir zudem eine Modell-Station in der Adoleszenz-Psychiatrie für junge Erwachsene zwischen 18 und 21 Jahren.

Wie hat sich die Kinder- und Jugendpsychiatrie in den vergangenen Jahren entwickelt und gewandelt?

Professor Freisleder: Man muss bedenken, dass es sich bei der Kinder- und Jugendpsychiatrie um ein noch vergleichsweise sehr junges Fachgebiet handelt, das erst seit 1968 am Start ist. Insgesamt kann man sagen, dass die Nachfrage in den vergangenen Jahren stark angestiegen ist und die Disziplin längst ihrer Exotenrolle entschlüpft und in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist. Das belegen auch die puren Zahlen. Bedenkt man, dass nach aktuellen Erhebungen rund 20 Prozent aller jungen Menschen zwischen null und 18 Jahren zumindest einmal in dieser Zeitspanne eine psychologische Abklärung und Betreuung brauchen. Die Aufwände dafür sind natürlich individuell und je nach Persönlichkeit höchst unterschiedlich. Aber ein Viertel dieser 20 Prozent, also fünf Prozent der jungen Menschen, bedarf einer mittel- bis langfristigen therapeutischen Begleitung. Positiv festzustellen ist, dass es mittlerweile weit weniger verpönt ist, kinder- und jugendpsychiatrische Hilfe in Anspruch zu nehmen. Wir sind da in der Tat mit unserem Leistungskatalog in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Es wird in der Gesellschaft erkannt, dass viele körperliche Erkrankungen auf seelische Komponenten und Fehlsteuerungen zurückzuführen sind. Das ist kein Tabu mehr, Früherkennung im Kindesalter ist eine wichtige Formel. Die Bedarfe werden angesichts der gesellschaftlichen Entwicklung, einer immer größeren Dynamisierung der Gesellschaft und wachsenden Anforderungen für die Menschen weiter steigen.

Wer sind eigentlich die jungen Menschen, die zu Ihnen kommen? Mit welchen Krankheitsbildern haben Sie sich in ihrer täglichen Praxis auseinanderzusetzen?

Professor Freisleder: Auffällig ist hier, dass sich die Zahlen seit einem Jahrzehnt gedreht haben. Wenn vor zehn Jahren noch 75 Prozent unserer Patienten nach Ambulanz oder Überweisung zu uns kamen und damals »nur« 25 Prozent Notfälle etwa von der Polizei eingeliefert wurden, so haben sich diese Werte umgedreht. Circa 75 Prozent Notfälle verzeichnen wir heute. Depressive und suizidal gefährdete Kinder und Jugendliche gehören längst zu unserem täglichen Brot. Kaum ein Tag vergeht ohne solche Fälle. Die weitere Bandbreite ist groß. Wir haben hier hyperaktive Kinder oder Jugendliche mit vielfältigen Essstörungen. Die Palette von Alkoholmissbrauch bis Drogen, von Lernschwäche bis zu schwersten Depressionen. Wir haben desorientierte Kids, solche mit Angstzuständen oder dem Tourette-Syndrom. Wir haben junge Menschen mit Stoffwechselstörungen oder Gehirnentzündungen, Zwangstörungen und so weiter. Die Liste individueller Befindlichkeitsstörungen ist hier lang.

Dazu gesellt sich in immer stärkeren Maße auch die aktuelle Flüchtlingsproblematik. Hierher kommen unbegleitete miderjährige Flüchtlinge, die auf ihren langen Wegen oft einen Kanon des Schreckens erlebt haben – teilweise direkt vom Bahnhof oder aus den Flüchtlingsunterkünften kommen die jungen Leute oft schwer traumatisiert bei uns an. Posttraumatische Belastungsstörungen, Formen schwerer Psychosen oder aggressive Verhaltensformen sind häufig. Für die Klinik ist das alles eine enorme Herausforderung. Wir behandeln unsere Patienten manchmal monatelang. Bei den Flüchtlingen fangen die Probleme dabei schon in Sachen sprachlicher Verständigung an. Hier stehen wir vor großen Herausforderungen. Wobei die Versorgungslage in Sachen Ärzten in München noch vergleichsweise gut ist. In der Provinz greift der Fachärztemangel dagegen längst auch auf unserem Sektor. Dem gilt es künftig zu begegnen.

Mit ehrgeizigen Projekten und Erweiterungen reagiert ihr Klinikum auf ständig wachsende Raum – Bedarf und intensiven Betreuungsanspruch. In Haar entsteht eine neue Spezialklinik für Kinder. Hier sollen mehrfach behinderte Mädchen und Jungen auf dem Gelände des dortigen Bezirksklinikums behandelt werden. Wie stehen Sie zu dem Projekt?

Professor Freisleder: Es handelt sich hier um eine ganz spezielle Einrichtung, deren Schaffung schon seit Jahren notwendig erscheint. Diese mehrfach und schwer geistig behinderten Kinder und Jugendlichen bedürfen einer ganz besonderen Betreuung und Fürsorge. Zudem sind diese jungen Menschen in herkömmlichen Einrichtungen der Kinder- und Jugendpsychiatrie nicht oder nur sehr schwer integrierbar. Die Stabilisierung dieser Patienten mit ihren unterschiedlichsten Symptomen und Krankheitsbildern ist nur durch eine deutliche Spezialisierung des Angebotes wie in Haar möglich. Die Eröffnung dieses Hauses unseres Klinikums ist für 2017 geplant. Dabei ist zu bedenken. Nicht alle Krankheiten sind auch heilbar. Manchmal ist lebenslange therapeutische Betreuung unausweichlich.

Ein abschließender Blick noch auf Ihre angestammte Heimat hier in Obergiesing. Fühlen Sie sich mit ihrem Klinikum hier wohl und gut eingebettet. Wie ist die Wahrnehmung der Nachbarschaft? Gibt es Probleme und offene Baustellen?

Professor Freisleder: Wir sind seit zwölf Jahren am hiesigen Standort zu Hause. Als gebürtiger Untergiesinger arbeite ich gerne in Obergiesing. Der Umzug aus damals zu eng gewordenen Räumlichkeiten in Schwabing war nötig geworden. Jetzt stehen wir auch hier vor dem allmählich stärker werdenden Problem, dass nach einer letzten Erweiterung vor zwei Jahren die räumlichen Ressourcen an der Deisenhofener-/Herzogstandstraße erschöpft sind. Einen Hörsaal haben wir deshalb schon aufs Dach gesetzt. Mit den Nachbarn hier kommen wir von Beginn an bestens aus. Wir wurden seinerzeit mit sehr viel Verständnis aufgenommen. Kleine Probleme werden sofort angesprochen und gelöst. Ich finde, die Klinik bietet ein hervorragendes Beispiel für den Abbau von früheren Vorurteilen gegen Einrichtungen wie die unsere in der Gesellschaft. Mit dem Tag der offenen Tür wollen wir unser Wirken hier nach geraumer Zeit mal wieder einer breiteren Öffentlichkeit präsentieren.

Das Interview führte Harald Hettich.

Artikel vom 04.10.2015
Auf Facebook teilen / empfehlen Whatsapp

Weiterlesen





Wochenanzeiger München
 
Kleinanzeigen München
 
Zeitungen online lesen
z. B. Samstagsblatt, Münchener Nord-Rundschau, Schwabinger-Seiten, Südost-Kurier, Moosacher Anzeiger, TSV 1860, ...