Wolfgang Stefinger (CSU) zur aktuellen Flüchtlingsproblematik

Wir müssen Fremdenfeindlichkeit entschiedener entgegentreten

Wolfgang Stefinger

Wolfgang Stefinger

München · Tausende Flüchtlinge kommen über Ungarn nach München. Was sagen die Münchner Bundestagsabgeordneten der Berliner Regierungskoalition dazu? Antworten von Wolfgang Stefinger (CSU, München-Ost).

Wie kann die Politik Vorbehalte, Verunsicherung und Ängste der Bürger entkräften? Wird das in ausreichender Form gemacht?

Wolfgang Stefinger: Deutschland ist ein weltoffenes und tolerantes Land. Auch deshalb ist Deutschland in weiten Teilen der Welt sehr beliebt. Und für die meisten der nach Europa kommenden Flüchtlinge ist die Bundesrepublik das beliebteste Zielland. Die überwiegende Mehrheit der Bundesbürger unterstützt die Aufnahme von Menschen, die vor Krieg und politischer Verfolgung fliehen und zeigt ein enormes Maß an Hilfsbereitschaft. Darauf können wir sehr stolz sein. Doch Fremdenfeindlichkeit, Rechtsextremismus und Gewalt müssen wir noch entschiedener entgegentreten. Hier ist nicht nur der Staat, sondern auch die Zivilgesellschaft gefragt. Seit 2015 unterstützt das neue Bundesprogramm »Demokratie leben – Aktiv gegen Rechtsextremismus, Gewalt und Menschenfeindlichkeit« das zivile Engagement für Demokratie und Vielfalt. Mit 30,5 Millionen Euro stehen dafür mehr Geldmittel zur Verfügung als jemals zuvor.

Es gibt aber bei vielen Bürgern auch Unsicherheiten und Ängste. Das merke ich bei meinen Gesprächen mit Bürgern immer wieder. Diese Unsicherheiten und Ängste sollten wir ernst nehmen und nicht einfach als rechtspopulistisches oder gar -extremes Gedankengut abtun. Zum einen müssen wir bestmögliche Rahmenbedingungen für die Integration von Flüchtlingen und Migranten schaffen. Zum anderen müssen wir allen Menschen in diesem Land das Gefühl von Sicherheit geben. Das bedeutet auch, dass wir die mit der Migration und Integration verbundenen Herausforderungen und Probleme offen und ehrlich benennen und adäquate Lösungen finden. Wenn Menschen aus unterschiedlichen Kulturkreisen aufeinander oder auf Einheimische treffen, können Konflikte entstehen. Das zeigt sich etwa in Flüchtlingsheimen, wo es häufig zu Spannungen zwischen den verschiedenen Nationalitäten, Glaubensrichtungen oder Religionen kommt, oder aber in Stadtteilen mit hohem Migrantenanteil, vor allem in Großstädten. Dies dürfen wir nicht einfach ignorieren oder kleinreden. Wir müssen verhindern, dass Parallelgesellschaften oder rechtsfreie Räume entstehen und dafür sorgen, dass die Menschen, die in unser Land kommen, unsere Werte und unser Rechtssystem akzeptieren. Dazu gehören beispielsweise gleiche Rechte für Frau und Mann und Toleranz gegenüber anderen Lebensmodellen und Religionen. Wer Schutz vor Verfolgung sucht und bei uns aufgenommen wird, ist bei uns willkommen, muss sich aber auch an bestimmte Regeln halten. Darüber hinaus muss die Politik bei der heimischen Bevölkerung dem Eindruck entgegentreten: »Für uns Bürger tut ihr nichts, aber für die Flüchtlinge ist stets genug Geld da.«

Damit die Akzeptanz für unsere Flüchtlings- und Asylpolitik erhalten bleibt, müssen wir aber auch dafür sorgen, dass geltendes Recht konsequent durchgesetzt wird. Nicht alle Flüchtlinge können bei uns bleiben. Wer nach eingehender Prüfung keinen Asylstatus erhält, der muss auch wieder in seine Heimat zurückkehren oder zurückgeführt werden. Von rund 175.000 Ausreisepflichtigen wurden in diesem Jahr bisher nur knapp über 10.000 abgeschoben. Es ist für viele Bürger schwer verständlich, warum man von ihnen die Einhaltung von Recht und Gesetz erwartet, die überwiegende Mehrheit der abgelehnten Asylbewerber aber weiter in Deutschland bleibt. Viele Bundesländer kommen ihrer Pflicht für die Aufenthaltsbeendigung schlichtweg nicht konsequent nach. Dies muss sich endlich ändern.

Um die Flüchtlingsströme zu verringern, muss die Situation in den Herkunftsländern verbessert werden. Wie kann das Ihrer Meinung nach in Syrien umgesetzt werden?

Wolfgang Stefinger: Deutschland setzt sich im Rahmen seiner Möglichkeiten für Verhandlungen über eine politische Lösung des Bürgerkrieges in Syrien ein. Aufgrund der unübersichtlichen politischen und militärischen Lage, die dort herrscht, ist eine Lösung jedoch äußerst schwierig. Deutschlands Einfluss wie auch der meisten anderen Partnerstaaten auf die Konfliktparteien ist leider begrenzt. Niemand verfügt über ein Patentrezept, wie sich der Bürgerkrieg in Syrien beenden lassen könnte. Das Problem liegt nicht nur im Assad-Regime, das jegliche Opposition unterdrückt und brutal gegen seine Gegner vorgeht. In weiten Teilen Syriens und des Irak hat die Terrormiliz IS eine Schreckensherrschaft errichtet und zahlreiche Menschen ermordet oder versklavt. Eine Verständigung mit dieser Organisation ist unmöglich. Der Bürgerkrieg in Syrien ist daher eine Herausforderung für die gesamte Weltgemeinschaft. Eine wichtige Rolle fällt dem UN-Sicherheitsrat, insbesondere dessen ständigen Mitgliedern USA und Russland, aber auch den arabischen Staaten zu. Wir dürfen den Krieg in Syrien zudem nicht isoliert betrachten, sondern müssen den gesamten Nahen Osten und Nordafrika im Blick behalten. Darüber hinaus muss Deutschland gemeinsam mit seinen europäischen Partnern die Entwicklungszusammenarbeit effektiver gestalten und bei der Bekämpfung der Fluchtursachen die betroffenen Länder stärker in die Pflicht nehmen. Einen wichtigen Beitrag kann hier die Sonderinitiative des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung »Fluchtursachen bekämpfen, Flüchtlinge reintegrieren« leisten.

Auch in den Balkanländern, aus denen zurzeit zahlreiche Menschen nach Deutschland kommen und um Asyl ersuchen, herrschen zum Teil sehr schwierige Lebensumstände. Muss die deutsche Politik hier nicht auch darauf hinwirken, dass die Lebensumstände in diesen Ländern nachhaltig verbessert werden?

Wolfgang Stefinger: Die EU investiert bereits seit mehreren Jahren massiv in Infrastrukturprojekte. Leider sind die sozialen Probleme in den Balkanländern aber nach wie vor groß. Es wird daher stark darauf ankommen, die Entwicklungsprogramme neu zu gestalten. Bei der Bekämpfung der Fluchtursachen müssen wir auch die Balkanstaaten selbst in die Pflicht nehmen. Wer Mitglied der EU werden will, muss die damit verbundenen Reformen umsetzen. Dazu gehören beispielsweise die Bekämpfung von Korruption und die Schaffung stabiler Strukturen zur Gewährleistung von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, der Wahrung der Menschenrechte sowie der Achtung und des Schutzes von Minderheiten. Die EU wird hier künftig noch stärker hinschauen müssen. Die Menschen wünschen sich Sicherheit und Perspektiven in ihrer Heimat.

Wie bewerten Sie die Vorgänge am Münchner Hauptbahnhof, wo zahlreiche freiwillige Helfer die Betreuung der ankommenden Flüchtlinge übernehmen, während der Staat sich auf seine minimalen Aufgaben zurückzieht?

Wolfgang Stefinger: Angesichts eines solch unerwarteten Massenansturms standen wir vor gewaltigen Herausforderungen. Die Hilfsbereitschaft der Münchner ist überwältigend und immer wieder ist zu Recht zu hören: »Ich bin stolz, ein Münchner zu sein!« Diese in alle Welt transportierte Botschaft der offenen und hilfsbereiten Weltstadt mit Herz macht auch mich stolz. Ich danke daher allen Helfern ganz herzlich für Ihr Engagement. Den Vorwurf, dass der Staat sich auf minimale Aufgaben beschränke, kann ich nicht nachvollziehen. Polizei, Rotes Kreuz, TWH – übrigens eine Bundesanstalt mit vielen Freiwilligen – und Feuerwehr leisten vielfältige Unterstützung. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) arbeitet seit Monaten auf Hochtouren. 2014 wurden dort 300 zusätzliche Stellen geschaffen, in den kommenden zwei Jahren sollen nochmals 2.000 hinzukommen, um dem Flüchtlingsansturm gerecht zu werden. Die Bundeswehr stellt Zelte und Personal zur Verfügung und öffnet teilweise ihre Liegenschaften. Die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA) bietet staatlichen und kommunalen Einrichtungen schnelle und unbürokratische Hilfe bei der Suche nach Gebäuden zur Unterbringung. Auch die Stadt München hat rasch reagiert und in nur wenigen Tagen mehrere tausend provisorische Plätze geschaffen.

Artikel vom 09.09.2015
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