Sind Schulden schick?

München · Sommergespräch: Vielen fehlt das Gefühl für Geld

Bankvorstand Reinhard Andres weiß, wie leicht Verbraucher sich verschulden können. Er sagt: »Zur Kundenberatung gehört manchmal ein ›Nein‹ dazu.«	Foto: Patricia Prankl

Bankvorstand Reinhard Andres weiß, wie leicht Verbraucher sich verschulden können. Er sagt: »Zur Kundenberatung gehört manchmal ein ›Nein‹ dazu.« Foto: Patricia Prankl

München · Gehört Schuldenmachen heute zum guten Ton? Gibt es »gute« und »schlechte« Schulden? Gibt es überhaupt noch den Begriff »Ehrenschulden« oder ist es viel mehr »schick«, Schulden zu machen?

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Und was gibt es für Präventionsmöglichkeiten, um gar nicht erst in die Schuldenfalle zu geraten? Bei unserem Sommergespräch haben wir Menschen an einen Tisch gebracht, die täglich mit dem Thema Geld und Schulden konfrontiert sind.

Lebhaft diskutierten die Vertreter der Wirtschaft, der Politik, der Schuldnerberatungs- und Präventionsstellen, aber auch eine Vertreterin eines Inkassobüros. Einig war sich die Runde, dass Schulden keineswegs schick seien. Was allerdings die jeweiligen Schuldner und die Gründe für das Verschulden betraf, so gab es unterschiedliche Meinungen.

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Vielen Bürgern fehle heute das Gefühl für Geld, hat Kajetan Brandstätter (Business Club Bavaria, ein Netzwerk von kooperierenden Geschäftsleuten) festgestellt. Das fängt im Kleinen an, wenn ein Bürger einen Dispokredit nach dem anderen aufnimmt oder ausgiebig im Internet bestellt, und hört im Großen auf, wenn bei Themen wie »Griechenland« oder »Flughafen Berlin« nur so mit den fehlenden Milliardensummen jongliert wird.

Im Elternhaus werde gar nicht über Geld gesprochen, kritisierte Torsten Sowa vom Verein H-Team e.V., ein Verein, der ambulante Hilfsdienste für bedürftige Mitbürger anbietet. »Die Kinder wissen nicht, was die Eltern verdienen und wo das Geld herkommt«. Das sei »typisch deutsch«: Über Geld spricht man nicht.

Erschüttert über die große Unwissenheit, die bei der Jugend bei Themen wie Geld, Schulden und Verträge bestehe, zeigte sich Melina Welscher, Leiterin der Schuldner- und Insolvenzberatungsstelle beim H-Team. »Der Handyvertrag ist der Klassiker«, so Welscher. Bei ihren Schulveranstaltungen trifft sie immer wieder auf junge Menschen, die überhaupt keine Ahnung von Vertragsgestaltung haben. »Die wissen nicht, wie lange ihr Handyvertrag läuft oder dass man ihn kündigen muss.«

»Schulden per se sind meines Erachtens nicht schlimm. Es kommt aber darauf an, wofür«, so Reinhard Andres, Vorstand der Raiffeisenbank München-Süd. Der Verbraucher müsse überlegen: »Welche Schulden kann ich mir leisten? Welche nicht? Und für welche Verwendungszwecke nehme ich die Schulden auf?«

Eine eigene Wohnung oder ein neues Auto, das seien langfristige Investitionsgüter. »Wenn ich Geld für Konsum verwende, um beispielsweise in den Urlaub zu fahren, dann sollte lieber vorher gespart werden.«

Eine Lanze für die Schuldner brach Heidi Schaitl, Leiterin der Schuldnerberatung im Caritas-Zentrum Fürstenfeldbruck: »Es ist nicht so, dass sich verschuldete Familien vorher viele Luxusgegenstände geleistet haben. Häufig sind Schulden die Folge von prekären Lebensverhältnissen, von Haushalten mit niedrigem Einkommen, von Menschen, die versuchen, die soziale Teilhabe für ihre Familie zu gewährleisten.« Wenn zu einer finanziell angespannten Familiensituation noch eine unvorhergesehene Krankheit oder Arbeitslosigkeit käme, gerieten solche Familien immer tiefer in die Schuldenspirale.

Schaitl nutzte die Gelegenheit, um die Politik in die Pflicht zu nehmen. »Ich wüsste gerne, inwieweit die Politik bereit ist, für den Bereich Prävention zu investieren«, sagte sie und forderte eine bessere Refinanzierung der Schuldnerberatungsstellen. »Es wäre wichtig, dass wir diese Arbeit flächendeckend und nicht nur auf Anfrage machen könnten, aber uns fehlen die finanziellen Mittel«, bedauerte Schaitl. Ein klares »Ja« gab es von Lotte für die Forderung nach Unterstützung. »Die Mittel müssen erhöht werden. Da ist der Staat in der Pflicht. Die Nachfrage ist riesig, die Beratung muss ausgebaut werden.« Allerdings dürfte das nicht nur den Kommunen aufgelastet werden: »Es ist genauso Landesaufgabe und auch die Wirtschaft ist gefragt.« Von Patrizia Steipe

Das gute alte Haushaltsbuch

Die Tischrunde hat einen handfesten Tipp für Schuldner: das gute alte Haushaltsbuch – damit sich die Leute bewusst machen, was sie für ständig wiederkehrende Ausgaben haben, regte Brandstätter an. Und Lotte erinnerte sich an seine Studentenzeit, als er immer nur 50 Mark abgehoben und in bar bezahlt hatte. »Wenn der Geldbeutel leer war, wusste ich, dass ich zuviel ausgegeben hatte.« Selbstständige sollten auf realistische Business-Pläne setzen: »Dann bekommt man ein Gefühl dafür, was monatlich ein- und ausgeht.« Andres wies auf den »Finanzmanager« beim Online-Banking hin, der die Ausgaben automatisch sortiere.

Artikel vom 14.08.2015
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