Einer geht noch?

München · Bundesweit müssen jährlich fast 100.000 zum »Idiotentest«

Die Erfahrung zeigt: Eine intensive Vorbereitung auf die MPU ist die halbe Miete. Foto: TÜV Süd

Die Erfahrung zeigt: Eine intensive Vorbereitung auf die MPU ist die halbe Miete. Foto: TÜV Süd

München · Alle neunzehneinhalb Stunden ereignet sich in München und dem Landkreis ein Verkehrsunfall unter Alkoholeinfluss. Statistisch betrachtet. Alkoholfahrten, entdeckt und unentdeckt, kommen deutlich häufiger vor. Wenngleich die Zahl der alkoholbedingten Unfälle in den vergangenen zehn Jahren rückläufig ist, sind sie doch immer noch für jeden zehnten Verkehrstoten verantwortlich.

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Besonders auffällig unter den Alkoholsündern: Männer, Personen zwischen 25 und 64 Jahre, Radfahrer. Wer mit wenigstens 1,6 Promille Blutalkohol am Steuer erwischt wird, wird zur MPU geschickt. »Idiotentest« heißt das im allgemeinen Sprachgebrauch. Und damit fängt das Elend auch schon an. Denn es handelt sich keineswegs um »Idioten«, sondern um Menschen, die Hilfe brauchen und Hilfe wollen. Der (vorübergehende) Verlust des Führerscheins hat nicht allein Konsequenzen für die Mobilität. Auch psychosoziale Veränderungen sind die Folge: Selbstvorwürfe, Scham gegenüber Bekannten, Stress, sogar Angst. Ist die medizinisch-psychologische Untersuchung zur Wiedererlangung der Fahrerlaubnis angeordnet, hilft nur eins: »Die MPU bietet die Chance, kritische Verhaltensweisen zu verändern«, erklärt der Münchner Verkehrspsychologe Thomas Wagenpfeil. Im Klartext: Wer alkoholisiert oder unter Drogeneinfluss Auto fährt, weiß das. In den Vorbereitungsgesprächen auf die MPU stellt Wagenpfeil immer wieder fest, wie falsch die Betroffenen ihren Alkoholkonsum einschätzen.

Wer regelmäßig trinkt, ist außerdem scheinbar weniger anfällig für die motorischen Beeinträchtigungen von Alkohol – hat aber genauso viel Alkohol im Blut und ist damit eingeschränkt oder gar nicht mehr fahrtüchtig. Eine Halbe macht schon 0,2 bis 0,3 Promille aus. Mit der dritten befindet man sich im Bereich einer Ordnungswidrigkeit (sofern man sich dann noch hinters Steuer setzt), ab der sechsten bzw. ab 1,1 Promille wird Autofahren zur Straftat. Jedes Jahr werden an die 100.000 Deutsche zur MPU vergattert, in München sind es gut 2.000. Die Angst zu versagen ist groß. Gerade im Internet geistern viele Geschichten und Gerüchte um die MPU, die die Verunsicherung weiter schüren. Wagenpfeil kann darüber nur den Kopf schütteln. Denn ob man seinen Führerschein wiederbekommt, entscheidet die Führerscheinstelle als »Herrin des Verfahrens« auf Grundlage des Gutachtens des Verkehrspsychologen.

Der wiederum muss aus den Tests bei der MPU ableiten, ob der Betroffene seine Verhaltensweisen dahingehend geändert hat, dass für die Zukunft eine erneute Alkoholfahrt auszuschließen ist. Dass man sich dabei, vor allem, wenn das Gutachten negativ ausfällt, benachteiligt fühlt, ist nachvollziehbar. Allerdings: Der Verkehrspsychologe hätte keinen Grund, einen bestimmten Verkehrsteilnehmer zu benachteiligen, wenn er den Eindruck der Fahrtauglichkeit hat. Thomas Wagenpfeil rät den MPU-Absolventen, ihre Trinkgewohnheiten kritisch zu prüfen und zu verändern. Von Schauspielerei beim psychologischen Gespräch rät er ab: »Das kommt raus.«

Damit der Weg zum Führerschein erfolgreich ist, rät der Verkehrspsychologe zu einer rechtzeitigen und intensiven Vorbereitung. In München gibt es horrend viele Angebote. Auch bei der Auswahl kann einiges schieflaufen. Darauf sollte man achten: »Ein seriöser Verkehrstherapeut ist Diplom-Psychologe und bietet keine Garantien wie eine Geld-zurück-Garantie« oder eine »100-Prozent-Chance«. Wagenpfeil hat einen Ratgeber zusammengestellt mit dem Titel »Der Testknacker bei Führerscheinverlust«. Hier findet man viele Hinweise und Hilfestellungen. Doch nichts davon wird greifen, wenn man sich nicht ernsthaft mit dem Thema auseinandersetzt. Und das betrifft nicht nur Alkoholfahrten. Wer unter Drogeneinfluss fährt und erwischt wird, muss zur MPU. Wer mehr als acht Punkte in Flensburg sammelt, ebenfalls.

2014 wurden in München und dem Landkreis insgesamt fast 3.900 Alkoholfahrten registriert, Tendenz fallend. Fahrten unter Drogeneinfluss wurden 1.925 erfasst, Tendenz steigend. Dass man sich falsch einschätzt, kann passieren. Dass man erwischt wird, kann passieren. Dass man zur MPU muss, kann passieren. Dass man fahrlässig ein Menschenleben auf dem Gewissen hat, darf nicht passieren. Die MPU soll eine Chance sein.

Von Carsten Clever-Rott

Artikel vom 22.05.2015
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