Hier fehlen Wohnungen!

Größere Familien haben bei der Wohnungssuche in München das Nachsehen

Unser tägliches Brot: Jolanta L. verteilt bei der Münchner Tafel Brot an Mitbürger. Jetzt brauchen sie und ihre Familie selbst Hilfe. Foto: job

Unser tägliches Brot: Jolanta L. verteilt bei der Münchner Tafel Brot an Mitbürger. Jetzt brauchen sie und ihre Familie selbst Hilfe. Foto: job

München · Jolanta L. hilft gerne anderen Menschen, sie packt unter anderem seit Jahren für die Münchner Tafel mit an. Nun braucht sie jedoch selber Hilfe – genauer: eine Wohnung. Was für einen Einzelnen in München oft schwierig genug ist, ist für die Mutter und ihre Familie schlicht eine Existenzfrage. Bei ihr leben zwei Töchter, von denen eine vor dem Abitur steht, und die beiden sieben Jahre alten Enkelinnen.

Jolanta stammt aus Oberschlesien, hat studiert und ist Lehrerin und Erzieherin – eigentlich. Denn ihre Abschlüsse werden in Deutschland nicht anerkannt. Daher hat sie eine weitere Ausbildung angehängt und ist Malermeisterin geworden: »Das hat mein Leben gerettet«, sagt sie. In Deutschland arbeitete sie als technische Leiterin für eine Baufirma. Dann begann, was sie lapidar eine »schwere Zeit« nennt: Die Firma wurde insolvent und fast zur gleichen Zeit wurde ihre Wohnung wegen Eigenbedarf gekündigt. Spätestens im Juli muss Jolanta L. mit ihrern Kindern und Enkelinnen die Wohnung räumen. Verzweifelt sucht sie ein neues Dach über dem Kopf. »Ich suche verzweifelt«, sagt sie. Das Wohnungsamt der Stadt München bestätigt die schwierige Lage der Familie: Es hat den Fünf-Personen-Haushalt in der obersten Dringlichkeitsstufe für die Vergabe einer geförderten Wohnung registriert und ist würde, wenn Jolanta L. selbst eine Wohnung fände, anfallende Vermittlungsgebühren übernehmen. Eine Bleibe konnte sie für die fünf Münchner nicht finden.

2014 haben nach Auskunft des städtischen Sozialreferats rund 24.000 Haushalte einen Antrag auf geförderten Wohnraum gestellt. Davon erfüllten etwa 12.400 die Antragsvoraussetzungen und konnten somit registriert werden. Der Erfolg hält sich in Grenzen: 3.761 Wohnungssuchende konnten im vergangenen Jahr vermittelt werden. Entspannung ist nicht in Sicht: »Die Antragszahlen stiegen in den letzten Jahren kontinuierlich an«, erklärt Frank Boos, Sprecher des Sozialreferats, »wir rechnen aufgrund des anhaltenden Zuzuges nach München mit weiteren Steigerungen.« Die Steigerung wird in Prognosen mit sechs Prozent pro Jahr angegeben. Große Ansprüche hat Familie L. nicht. »Als Malermeisterin kann ich gut renovieren«, so Jolanta L. Auch einen neuen Job hat sie gefunden: Ab April wird sie wieder bei einem Bauunternehmen beschäftigt sein. Die Sorge um ihre Familie bleibt: »Wenn ich bis 1. Juni keine Wohnung finde, muss ich uns wegen Obdachlosigkeit in einem Heim anmelden.«

Solche Fälle gehören auch im IBZ Beruf Ost zum Alltag. Die Beratungseinrichtung unterstützt unter dem Dach von IBPro – Zentrum Beruf & Familie alleinerziehende Mütter und Väter im Arbeitslosengeld-I-Bezug, die nach der Familienzeit wieder in die Arbeitswelt zurückkehren möchten. Eine dieser Mütter ist Anna N. (Name geändert). Die Alleinerziehende hat als Reinigungskraft und Lageristin gearbeitet, hat sich nach der Geburt ihres jüngsten Kindes drei Jahre intensiv um ihre Familie gekümmert und will nun wieder ihre Arbeit aufnehmen. Doch das ist schwierig, denn an Weihnachten wurde ihr die Wohnung wegen Eigenbedarf gekündigt. Bis zum 31. März muss sie mit ihren drei jüngeren Kindern (zwei weitere sind bereits erwachsen) ihr Zuhause verlassen. »Der drohende Verlust der Wohnung und die damit verbundenen Existenzängste sind für die Jobsuche fatal«, schildert Enrico Strathausen, Leiter des IBZ Beruf Ost, die Zwickmühle der Familie, »und ohne Job wird Frau N. kaum eine neue Wohnung finden.«

Dabei trägt das Jobcenter, mit dem das Zentrum für Alleinerziehende zusammenarbeitet, die Wohnungsmiete der Familie N. solange, bis sie nicht mehr auf die finanzielle Unterstützung angewiesen ist. Ein Einzelfall ist sie nicht: »Wir unterstützen Alleinerziehende bei ihrem beruflichen Wiedereinstieg«, berichtet Strathausen, »die Problemlagen, die sich hier stellen, sind oft sehr komplex.« »Ich weiß, dass es in München viele solche Fälle gibt«, unterstreicht auch Alexandra Gaßmann, Landesvorsitzende des Verbandes kinderreicher Familien in Bayern. Die verzweifelte Lage der Familie L. erschüttert sie dennoch: »Es kann doch nicht sein, dass man sie im Sommer auf der Straße stehen lässt!« Die Politik tut ihrer Meinung nach zu wenig für große Familien: »Die Landeshauptstadt hat beim Wohnungsbau Familien mit drei und mehr Kindern gar nicht im Auge«, kritisiert sie.

Dabei ist die Zahl »großer« Familien gar nicht so klein: 80.000 Familien mit drei und mehr Kindern leben in Oberbayern, 45.000 von ihnen sind in München daheim. »Auch für diese Familien sollte man etwas tun«, so Gaßmann. »Unsere Kinder sind euere Zukunft« ist der Slogan ihres Verbandes. Mit deutlichen Zahlen erklärt Gaßmann, warum das so ist: »In den kinderreiche Familien wird ein Drittel aller Kinder unserer Gesellschaft erzogen«, sagt sie, »kinderreiche Familien stellen einen Großteil der nächsten Generation!« Sie übernehmen damit Verantwortung für die Zukunft; ohne sie werden die Herausforderungen der Zukunft – wie demographischer Wandel und Fachkräftemangel – überhaupt nicht zu bewältigen sein. München ist bunt, unterstreicht Alexandra Gaßmann, »und dazu gehören auch Kinder – nicht nur Singles!« Viele Vermieter jedoch haben Angst vor dem, was sie mit Kindern erwarten könnte. Nach ihrer Erfahrung gilt für viele: »Lieber Mieter mit Hund als Mieter mit Kindern.« Die Gleichung »Kinder gleich Lärm« lässt sie jedoch nicht gelten: »Kinderreiche Familien sind völlig normale Familien wie alle anderen auch!«

Von Johannes Beetz

Artikel vom 01.03.2015
Auf Facebook teilen / empfehlen Whatsapp

Weiterlesen





Wochenanzeiger München
 
Kleinanzeigen München
 
Zeitungen online lesen
z. B. Samstagsblatt, Münchener Nord-Rundschau, Schwabinger-Seiten, Südost-Kurier, Moosacher Anzeiger, TSV 1860, ...