Der rettende Draht

Harlaching/Ebersberg · Das telemedizinische Netzwerk »TEMPiS« sagt Schlaganfällen den Kampf an

Dank dem medizinischen Netzwerk »TEMPiS« können Schlaganfall-Patienten in ländlichen Gegenden genauso versorgt werden wie in der Großstadt.	Foto: Tempis

Dank dem medizinischen Netzwerk »TEMPiS« können Schlaganfall-Patienten in ländlichen Gegenden genauso versorgt werden wie in der Großstadt. Foto: Tempis

Harlaching/Ebersberg · Ein Schlaganfall ereignet sich oft ohne Vorankündigung. Besonders fatal für die Betroffenen: Werden sie nicht rasch behandelt, können sie bleibende, zum Teil schwere Behinderungen davontragen. Die wichtigste Therapie, das schnelle Wiederauflösen des Blutgerinnsels, das den Schlaganfall verursacht hat, muss deshalb schnell erfolgen.

Allerdings darf das Medikament für die sogenannte Lysetherapie nur von einem erfahrenen Spezialisten verabreicht werden. Weil es diese in ländlichen Kliniken oft nicht gibt, wurde 2003 das Schlaganfallnetzwerk »TEMPiS« gegründet. Seit nunmehr zwölf Jahren leiten Experten aus großen Schlaganfallzentren die Kollegen in kleinen Kliniken per Video-Konferenz bei der Behandlung von Schlaganfallpatienten an. Anton Pointner aus Freising hat noch einmal Glück gehabt. Am 6. August bemerkte der 59-jährige Kfz-Meister kurz nach Betriebsschluss um 18 Uhr, dass er den linken Arm nicht mehr richtig bewegen und auf dem linken Bein kaum noch stehen konnte. Weil er zudem nur noch undeutlich sprach, verständigte seine Ehefrau sofort die Rettungsleitstelle.

Der herbeigerufene Notarzt fuhr Herrn Pointner ins Klinikum Freising, wo der diensthabende Arzt umgehend eine Blutabnahme sowie eine Computertomographie (CT) des Gehirns veranlasste. Wie sich zeigte, handelte es sich nicht um eine Blutung im Gehirn, sondern um ein verstopftes Gefäß, ein Blutgerinnsel. Dies musste nun so schnell wie möglich aufgelöst werden. Also rief der Arzt im »TEMPIS-Netzwerk«, dem 2003 gegründeten »Telemedizinischen Projektes zur integrierten Schlaganfallversorgung« an. Hier bieten die Spezialisten aus den Schlaganfallzentren des Klinikums Harlaching (Städtisches Klinikum München) und der Universitätsklinik in Regensburg – zu jeder Tages- und Nachtzeit – ihren Kollegen in den Kliniken im ländlichen Süd-Ost-Bayern kompetente Unterstützung bei der Diagnose und Therapie von Schlaganfällen an.

Die diensthabende Neurologin in Regensburg, Frau Dr. Elisabeth Torka, konnte Herrn Pointner sofort per Videokonferenz über eine Kamera untersuchen und die ihr bereits übermittelten CT-Bilder des Patienten beurteilen: Der Kfz-Meister hatte einen Schlaganfall der rechten Gehirnhälfte erlitten. Innerhalb weniger Minuten entschied die Expertin, dass bei dem Patienten eine Lysetherapie möglich ist. Daraufhin verabreichte der Kollege in Freising Herrn Pointner sofort das Medikament zur Blutverdünnung, welches das verschlossene Gehirngefäß wieder auflöste. Schon kurz darauf konnte der Patient seinen linken Arm und sein linkes Bein wieder deutlich besser bewegen und praktisch ohne Einschränkungen sprechen. Nur der linke Mundwinkel hing einige Tage später noch ganz leicht herunter. Nach drei Tagen konnte Anton Pointer wieder nach Hause entlassen werden. Seither arbeitet er wieder ohne Einschränkungen in seiner Kfz-Werkstatt.

Bis zum Jahr 2003 konnte diese Lysetherapie nur in den Schlaganfallzentren (Stroke Units) großer Städte durchgeführt werden. Seit dem Aufbau von TEMPiS steht die sehr wirksame Schlaganfallbehandlung auch der Bevölkerung im ländlichen Süd-Ost-Bayern zur Verfügung. Im »TEMPiS-Netzwerk«, dem größten telemedizinischen Schlaganfallnetzwerk weltweit (gemessen an der Zahl der pro Jahr behandelten Patienten), werden jedes Jahr über 7.000 Schlaganfallpatienten in mittlerweile 19 Kliniken in Süd-Ost-Bayern behandelt. Gerade der ländliche Raum profitiert Damit steht in fast jedem Landkreis in Süd-Ost-Bayern Schlaganfall-Patienten entweder eine spezialisierte neurologisch geführte Schlaganfall-Station oder eine an das »TEMPiS-Netzwerk« angeschlossene Klinik zur Verfügung. Für die Bevölkerung in der ländlichen Region bedeutet dies eine enorme Verbesserung ihrer medizinischen Versorgung und eine Angleichung an Patienten in der Großstadt.

In einer aufwendigen Studie mit über 3.100 Schlaganfallpatienten konnte der Nutzen dieses Projektes wissenschaftlich nachgewiesen und in angesehenen Fachjournalen wie »Neurology« und »Lancet Neurology« veröffentlicht werden. Tatsächlich erhöht die Behandlung in einer »TEMPiS-Klinik« die Chance eines Schlaganfallpatienten erheblich, die Klinik ohne Behinderung zu verlassen. »TEMPiS« als Musterbeispiel für eine professionelle, effiziente und wohnortnahe Schlaganfallversorgung hat international viel Beachtung gefunden und bereits mehrere Auszeichnungen erhalten, zum Beispiel 2009 den Karl Storz-Telemedizinpreis der Deutschen Gesellschaft für Telemedizin e.V. und 2010 den Janssen Zukunftspreis. Andere Schlaganfallnetzwerke haben das »TEMPiS-Konzept« in ähnlicher Weise übernommen und bereits etabliert, wie z. B. das »STENO-Netzwerk« in Nord-Ost-Bayern und das »SOS-NET« in Sachsen. Zudem waren in den letzten Monaten Kolleginnen und Kollegen aus Frankreich und Australien bei »TEMPiS« in München zu Gast und holten sich Anregungen und Ideen zur Umsetzung eigener Schlaganfallnetzwerke. Ein australisches Netzwerk nach dem »TEMPiS-Vorbild« startet in diesen Wochen.

red

Artikel vom 25.02.2015
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