Gott wird ein Kind

Die Weihnachtsbotschaft von Pfarrer Michael Schlosser

Pfarrer Michael Schlosser aus Mariahilf (rechts) und St. Franziskus schreibt exklusiv im Haidhausener Anzeiger.	Foto: privat

Pfarrer Michael Schlosser aus Mariahilf (rechts) und St. Franziskus schreibt exklusiv im Haidhausener Anzeiger. Foto: privat

Au-Haidhausen · Liebe Mitmenschen, die Sie diese Zeilen lesen! Momentan höre ich ab und zu ein Baby im Zimmer neben meiner Wohnung am Mariahilfplatz schreien. Erst vor wenigen Wochen gab es im Pfarrhaus Nachwuchs: Unsere Kirchenmusikerin freut sich mit ihrem Mann über ihr erstes Kind. Und die drei wohnen im gleichen Stockwerk wie ich.

Wie die meisten Paare erfahren sie unglaubliche Glücksmomente, erleben aber auch viele kleine und große Herausforderungen, die so ein neuer Erdenbürger seinen Eltern stellt.
Da kommt mir Weihnachten auf eine neue Weise nahe.

Denn nüchtern betrachtet, handelt es sich beim populärsten Fest der Christenheit einfach um die Erinnerung an das, was milliardenfach auf unserem Planeten geschieht: Ein Mensch kommt zur Welt. Ob dieser Mensch auch Gott ist, darüber gehen die Meinungen weit auseinander.
Für alle, die dies glauben oder zumindest hoffen, wird damit jedenfalls auch so manches Zerrbild von Gott infrage gestellt.

Das ist durchaus bedeutsam, weil diese Gottesvorstellungen leider viel zu häufig in unseren Seelen ihr Unwesen treiben oder sogar zu Konflikten, Tod und Vernichtung führen, was sich in diesen Zeiten wieder überdeutlich zeigt: Es gibt keinen gewalttätigen Gott!
Es erscheint auf der Welt kein Diktator, der endlich alles in Ordnung bringt, sondern ein Kind, das Fürsorge, Aufmerksamkeit und viel Zeit braucht, um wachsen zu können. Im Stall von Bethlehem offenbart sich das Göttliche nicht als fest definierte Erscheinung, sondern als ein Wesen, das erst am Anfang steht.

Der Gott der Bibel ist mächtig ohnmächtig – wie ein Kind. Seine Macht zeigt sich nur denen, die ihn lieben, aber sie lässt sich nicht als Waffe missbrauchen.
Angst vor Gott ist unbegründet: Diese gepredigte, gelehrte und eingebläute Angst vor Gott hat vielen Menschen den Glauben ausgetrieben und bei anderen zu einer engstirnigen und freudlosen Lebensweise geführt. Wenn wir glauben dürfen: »Gott wird ein Kind«, dann ist das die klare, frohe Botschaft: »Hab keine Angst vor mir! Fürchte dich nicht!«

Gott ist nicht einfach »irgendetwas Höheres«.
So viele Menschen glauben ja, dass man über Gott nichts wirklich sagen kann. Das ist richtig. Aber über Jesus kann man viel sagen. In ihm zeigt sich Gott sehr deutlich, verständlich und begreifbar; das ist die klare, frohe Botschaft: Gott stellt sich uns in Jesus vor! Wir können ihn in Jesus sehr gut kennen lernen! Wir erfahren viel über seine Sicht der Welt und über seinen Willen.

Gott ist nicht eine Art »Erste Hilfe Kasten«, der irgendwo in einer Ecke hängt und hoffentlich nie benutzt werden muss.
Vielmehr zeigt sich Gott im Kind als jemand, mit dem ich Tag und Nacht in Beziehung sein will, der mein Leben umkrempeln will, der mit mir in frohen und schweren Stunden, in Harmonie und Konflikt, im Alltäglichen und Erstaunlichen zusammen sein will.

Das ist frohe Botschaft: Ich interessiere mich für dich und werbe um deine Liebe! Ich kann in Deinem Leben wachsen, wenn Du Dich mir zuwendest und Dich um mich kümmerst.
Gott ist nicht simpel! Viele Menschen suchen im Glauben schnelle und einfache Lösungen. Gott aber wird erst mal ein Säugling. Er fängt ganz klein an und lässt sich Zeit, ehe er nach etwa 30 Jahren öffentlich auftritt und sein Wesen zeigt.
Das ist für uns doch beruhigend: Du kannst Dir wie Gott Zeit lassen zum Wachsen und Reifen und immer wieder mit kleinen Schritten neu anfangen!

Ich bin gespannt, was ich von dem Baby nebenan in den kommenden Monaten noch lernen kann über jenes Geheimnis, das wir »Gott« nennen und das sich uns in jedem Kind zeigt.
In diesem Sinn wünsche ich Ihnen von Herzen ein friedvolles Weihnachtsfest und ein gesegnetes neues Jahr 2015.

Michael Schlosser,
Pfarrer in Mariahilf und St. Franziskus

Artikel vom 22.12.2014
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