Wandel in der Szene

Münchner Schwule bleiben nicht mehr nur unter sich

Vertraut mit der Münchner Schwulenszene: Kai Kundrath vom Sub und Martin Jautz von der Münchner Aids-Hilfe. 	Foto: Sub

Vertraut mit der Münchner Schwulenszene: Kai Kundrath vom Sub und Martin Jautz von der Münchner Aids-Hilfe. Foto: Sub

München · Auch ein Weltstar wie Freddie Mercury fühlte sich in der Schwulenszene Münchens wie zuhause und machte im Glockenbachviertel gerne die Nacht zum Tag. Lange ist’s allerdings her, seinerzeit in den 80er-Jahren.

Viel Wasser ist seitdem die Isar hinuntergeflossen und wer heute nach den Clubs sucht, die damals angesagt waren, kann lange suchen und wird selten fündig. Kein Wunder: Von den einst 50 Kneipen, in denen sich das schwule Publikum tummelte, haben nur noch 15 überlebt. Beispiel Hans-Sachs-Straße: Gab es mal neun Bars, ist heute nur noch eine davon übrig. Dennoch kein Grund, Alarm zu schlagen, zumindest nicht aus Sicht der heutigen homosexuellen Männer in München, denn die fühlen sich trotz Kneipenschwund mit der Szene wesentlich zufriedener als früher. So das Fazit einer aktuellen Umfrage. »Wir sind selbst überrascht von dem Ergebnis«, sagt Kai Kundrath vom Projekt Prävention des Schwulen Kommunikations- und Kulturzentrums (Sub). »Gleichzeitig freuen wir uns, dass schwule Männer so gerne in der Szene unterwegs sind.« Außerdem sei das Ausgehverhalten viel offener als noch vor 30 Jahren. »Schwule bleiben nicht mehr nur ausschließlich unter sich.«

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Das Sub und die Münchner Aids-Hilfe hatten im vergangenen Jahr Münchens schwule Männer zur sexuellen Identität, dem Ausgeh-Verhalten und zur Internet-Nutzung befragt. »Wir wollten so Erkenntnisse für die HIV-Prävention in der Community gewinnen«, erklärt Kundrath. Knapp 780 Homosexuelle im Alter von 17 bis 74 Jahren nahmen an der meist online geführten Erhebung teil. »Damit ist die Studie zwar nicht repräsentativ, doch bildet sie gewisse Trends ab«, so Kundrath weiter. Große Zustimmung etwa fanden Aussagen wie »Ich genieße die lockere Stimmung in der Szene«, »Die Menschen sind freundlich« und »Ich kann mich so geben wie ich bin.« Die meisten der Homosexuellen hätten sich längst schon »geoutet« und würden, so Kundrath, ihre Sexualität offen leben: »Das zeigt, dass sie sich sicherer fühlen. Deshalb trauen sie sich mehr und mehr, auch in Clubs zu gehen, wo nicht nur die schwule Szene verkehrt.« Und umgekehrt mischen sich auch immer mehr Heterosexuelle unter das schwule Ausgehvolk, allen voran im legendären Glockenbachviertel.

Auch im Freundeskreis bleiben die Homosexuellen nicht ausschließlich unter sich. 47,5 Prozent gaben an, auch mit Heterosexuellen befreundet zu sein. Und wohin es die Freunde beim Ausgehen treibt, daran orientiert man sich heutzutage. Party-Locations wechseln kurzfristig, Kneipentouren und Barhopping ist angesagt. »Es kommt nicht mehr auf die Location an, sondern auf die Gruppe, mit der man unterwegs ist«, bringt es Kundrath auf den Punkt.

Damals wie heute ist natürlich das Interesse da, jemanden kennenzulernen, vielleicht nur für eine Nacht, vielleicht den Partner fürs Leben, wer weiß das schon. »Doch es ist nicht mehr dieser ungeheuere Druck da, beim Weggehen unbedingt jemanden finden zu müssen«, sagt Kundrath. Denn der Großteil der Suche nach Sex oder Liebe oder nach beidem laufe über das Internet.

Wie es immer so ist mit Veränderungen, natürlich gibt es auch solche, die sich damit schwer tun. »Dass einige der Älteren den alten Wohnzimmerkneipen nachtrauern, die es in dem Maße nicht mehr gibt, ist verständlich«, so Kundrath weiter. Jenseits aller Sentimentalitäten stellt der aktuelle Wandel aber auch vor besondere Herausforderungen. Da die schwulen Männer heutzutage überall ausgehen, sind sie freilich nicht mehr so schnell und direkt zu erreichen, wenn es um die Vor-Ort-Prävention geht.

»Unsere Arbeit wird deutlich aufwändiger«, sagt Kundrath. Den Ehrenamtlichen des Präventionsteams der Münchner Aids-Hilfe und des Sub waren bislang in der Szene unterwegs und verteilten Kondome und Gleitmittel und machten unter anderem auch mit Party-Events auf ihre Anliegen aufmerksam. »Das Horrorgespenst Aids ist verschwunden. Andererseits gehen inzwischen viel zu viele schwule Männer viel zu nachlässig mit dem Thema Sexueller Schutz um. Diese Entwicklung ist ausgesprochen bedenklich«, sagt Kundrath, der mit seinem Team nun verstärkt versucht, Homosexuelle via Internet zu erreichen, etwa über Präventionsprofile auf Facebook, wo man sich anonym an das Sub wenden kann. Außerdem könne man sich im Sub auf Aids und andere sexuell übertragbare Krankheiten testen lassen. Kostenlos. »Ein Angebot, das gut und gerne genutzt wird«, so Kundrath. »Wir bleiben auf jeden Fall weiter dran mit unserer Arbeit, egal, wohin sich die Welt auch ändert.« Von Sylvie-Sophie Schindler

Artikel vom 08.05.2014
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