Attrappen statt Abschuss

Taubenhaus in Freimann: Vogelpopulation wird so eingedämmt

Der Falkner Wolfgang Schreyer mit seinem Wüsten-Bussard »Burli«, den er auf Kaninchen, jedoch nicht auf Tauben loslässt.	Foto: Sybille Föll

Der Falkner Wolfgang Schreyer mit seinem Wüsten-Bussard »Burli«, den er auf Kaninchen, jedoch nicht auf Tauben loslässt. Foto: Sybille Föll

Freimann · »Wir fordern, dass die Stadt auf öffentlichen Gebäuden Taubenschläge einrichtet, sie vom Tierschutzverein betreuen lässt und diesen finanziell unterstützt«, sagt Christian Hierneis, Sprecher des Grünen-Ortsverbandes Maxvorstadt/Schwabing/Freimann und Alte Heide sowie Mitglied des Landesvorstandes des Bund Naturschutz.

»München will Hauptstadt der Biodiversität werden, kümmert sich aber nicht um seine Tiere«, kritisiert Hierneis. Doch es scheint Bewegung in die Sache zu kommen. Das Referat für Umwelt und Gesundheit (RGU) erneuerte jetzt seinen Antrag aus dem Jahr 2003 mit ähnlichen Forderungen: Finanzierung der bestehenden und neu einzurichtenden Taubenhäuser, sowie Aufklärung der Bevölkerung. In seiner Vollversammlung am 19. März stimmte der Stadtrat einer Beschlussvorlage des Umweltschutzausschusses vom 25. Februar zu.

Das RGU rechnet für den Bau eines Taubenhauses je nach Größe mit 6.000 bis 15.000 Euro sowie rund 3.000 Euro pro Jahr für Futtermittel und Betreuung. Erste Projekte sind bereits in Planung, unter anderem auf einem Werksgebäude der Stadtwerke München am Elisabethplatz. Eine Finanzierung steht jedoch noch nicht fest, die Stadt hofft auf Sponsoren. »Uns ist nach wie vor auch das Taubenfütterungsverbot wichtig«, sagt RGU-Pressesprecherin Katrin Zettler. Durch das wilde Füttern werde nicht nur die Population verstärkt, sondern die Lebensmittelreste zögen auch Ratten an. Und durch diese sei die Gesundheit der Münchner noch stärker gefährdet als durch die Tauben.

Vor ungebetenen Gästen wie Mäusen, Tauben oder Einbrechern braucht sich Wolfgang Schreyer nicht zu fürchten. In seinem Garten in Unterschleißheim tummeln sich zwei Jagdhunde, in Volieren an der Seite verfolgen Adler, Habichte und Bussarde mit Argusaugen das Geschehen auf der Terrasse. Vor 14 Jahren hat sich der Münchner Stadtjäger mit seiner Falknerei selbstständig und sein Hobby zum Beruf gemacht: Greifvogelvorstellungen. Die Faszination, die diese Shows auf Kinder hat, nutzt Schreyer, um dem Nachwuchs die Natur näher zu bringen. Im »Waldklassenzimmer« im Oberschleißheimer Staatsforstrevier Berglwald lernen sie zum Beispiel bei einem Pirschgang einheimische Tierarten und Pflanzen kennen, zum Abschluss stellt er dann die Flugkünste seiner Vögel vor sowie seine Jagdhelfer, zu denen auch Frettchen gehören. Auch bei historischen Festen wie Ritterturnieren ist Schreyer vertreten, denn die Falknerei ist eine der ältesten Jagdarten, die bis heute erhalten geblieben ist.

Nach wie vor ist der Falkner aber immer noch gefragt, wenn es gilt, in der Stadt Wildtiere zu vertreiben, zum Beispiel Füchse oder Kaninchen. Teilweise werden sie gefangen und außerhalb von München in einem genehmigten Revier wieder ausgesetzt, teilweise kommt bei Kaninchen – vor allem, wenn sie unter der gefürchteten Seuche Myxomatose leiden – sein »Burli«, ein Wüsten-Adler, zum Einsatz. Zu Schreyers Aufgaben gehört mittlerweile auch etwas, das er sich nie hätte träumen lassen: Er betreut Taubenhäuser, unter anderem jenes in der Studentenstadt in Freimann. »Es fing damit an, dass mich Firmen anriefen und baten, dass ich mit meinen Falken komme und die Tauben vertreibe«, erzählt Schreyer. In München sind sie seit Jahren eine Plage, rund 50.000 Tiere gibt es mittlerweile im Stadtgebiet, schätzt der Falkner. Ihr Kot ist nicht nur ätzend, sondern kann auch Allergien auslösen. Doch vertreiben bringe nichts, denn sie kommen wieder.

»Die Stadttaube ist mit der Felsentaube verwandt, alle Balkone sind für sie Felsennischen und willkommene Brutplätze, die Studentenstadt also ein Eldorado«, erklärt der Experte. 2011 ließ das Studentenwerk auf einem der Dächer ein Taubenhaus errichten, damals das erste in München. Hier sollten die turtelnden Paare bestes Futter erhalten und sich ansiedeln. Es dauerte jedoch zwei Jahre, bis der Versuch glückte: »Erst, als wir im Frühjahr 2013 die zwei bis drei Tiere, die kamen, bis zur Eiablage eingesperrt hatten, war der Damm gebrochen«, erzählt Schreyer.

Derzeit »wohnen« 30 bis 40 Tiere in dem Schlag. Vier bis fünf Mal im Jahr legen sie Eier, immer zwei an der Zahl. Vergangene Woche sind sie mit dem Nestbau fertig geworden, am Wochenende lagen die ersten Eier darin, die nun gegen Attrappen aus Gips ausgetauscht werden. »Da schauen sie zwar a bisserl blöd, wenn keine Jungen schlüpfen, und geben irgendwann auf, aber sie bleiben, wenn man sie zwischendurch auch mal eine Brut aufziehen lässt«, sagt der Falkner. Er ist absoluter Verfechter des Modells. 70 Prozent des Kots blieben dadurch im Taubenhaus. Eine enorme Entlastung sei das für die Umwelt, wenn man bedenkt, dass eine einzige Taube zwischen 13 und 15 Kilogramm Nasskot pro Jahr hinterlasse. Und durch den Eitausch könne die Population auf einem erträglichen Niveau gehalten werden.

Auch die Schwabinger Grünen befürworten das Modell, nachdem in den vergangenen Jahren alle Versuche wie Fütterungsverbot, Verabreichung der Taubenpille und sogar Abschuss scheiterten. Etwa zehn Taubenhäuser gibt es inzwischen in München, allerdings in privater Hand. Sechs davon betreut Schreyer mit seinem vierköpfigen Team, die übrigen werden privat oder vom Tierschutzverein gemanagt, darunter eines auf dem Karstadt-Gebäude an der Münchner Freiheit. sf

Artikel vom 08.04.2014
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