Die steigende Gewalt auf den Münchner Fußballplätzen bereitet zunehmend Sorgen. Nicht nur die Vereine, auch der Bayerische Fußballverband (BFV) steht in der Pflicht. Es ist schwierig, Lösungsansätze zu finden, auch weil es zu viele Problemfelder gibt:
»Fairplay München«
»Fairplay München« gegen Gewalt auf Fußballplätzen Themenseite: »Spiel der Woche«, der sportlichen Aktion im Amateurfußball, mit regelmäßigen Spielen und Berichten
Sommergespräche: Gesellschaftliche Debatten haben bei uns einen Platz Wir beleuchten kontroverse Themen von allen Seiten
Beschimpfungen und Gewalttätigkeiten gegen Schiedsrichter, aber auch Ausschreitungen der Spieler untereinander kommen vor. Die Rolle der Zuschauer ist ebenfalls nicht zu unterschätzen. Dabei ist das Problem keinesfalls nur auf die Jugendgewalt zu beschränken. Das Ganze zieht sich durch bis in die 1. und 2. Mannschaften der Münchner Amateurvereine. Doch was tun, um der wachsenden Bereitschaft zur verbalen aber auch zur körperlichen Aggression entgegen zu wirken?
Im Rahmen unserer Sommergespräche haben Vereinsvertreter mit Schiedsrichtern und Verantwortlichen des BFV über die Problematik und Präventionsmaßnahmen diskutiert. Mit dabei in der Runde waren Herbert Brüser, 1. Vorstand des SV Waldeck Obermenzing e.V., Sebastian Weber, ehemaliger Schiedsrichter und BFV-Funktionär, Frank Schweizerhof, beim BFV für Prävention zuständig, Hermann Schmid, Jugendleiter bei Eintracht München und vom FC Español München Manager Christian Gonzalez Calvo und Schriftführer Otto Luz y Graf.
Fußball ist ein riesiges Sozialprojekt
Herr Slawinski, Sie engagieren sich sehr stark in der Initiative Fairplay München. Was darf man sich darunter vorstellen?
Bernhard Slawinski: Fairplay München ist eine Initiative des Bayerischen Fußballverbandes, die sich mit dem Thema Gewalt im Amateurfußball beschäftigt. Wir sind die letzten Monate sehr negativ überrascht worden von einigen Vorfällen. Wir haben zwar schon präventiv gearbeitet. Aber letztlich haben uns diese Ereignisse doch überrollt. Im Grunde war es so, dass aus den Rückmeldungen der Spielbeobachter Dinge zum Vorschein gekommen sind, die mich etwas überfordert haben am Anfang. Wir müssen die Ursache angehen, den Vereinen Unterstützung zukommen lassen und den Fußball in München als riesengroßes Sozialprojekt sehen. Wir sind gerade aktiv dabei, das Ganze anzugehen auch zusammen mit den Münchner Wochenanzeigern.
Wie wird das Gewaltproblem bei den Vereinen wahrgenommen?
Marcus Steer: Ich nehme das Thema seit Beginn meiner Vereinsarbeit im Fußball wahr. Ich merke auch, dass die Gewaltbereitschaft tatsächlich höher wird. Das hängt sicherlich damit zusammen, dass die Gesellschaft insgesamt komplexer wird. Die Vereine wachsen da oft nicht mit. Man hat vielleicht auch etwas verpasst. Problematisch ist es bei den Fußballvereinen, die sich ein bisschen mit einem Kulturverein verwechseln. Da haben wir mehr Gewaltbereitschaft erlebt, denn wenn es weniger um Fußball, aber mehr um die Ethnie geht, wird es immer schwierig. Natürlich kann man nicht alles über einen Kamm scheren, aber die Missstände scheinen hier schneller und größer zu sein.
Emotionen sind nichts Negatives
Im Fußball spielen Emotionen eine große Rolle. Kann man da überhaupt irgendetwas steuern?
Marcus Steer: Generell im Fußball ist es so, dass jeder, der die Gewalt im Keim ersticken möchte, zuerst einmal zu hören bekommt: Im Fußball geht es um Emotion und das muss doch erlaubt sein. Damit wird man natürlich erst einmal mundtot gemacht. Auch wenn es in vielen Momenten besser wäre, mehr Ruhe und Souveränität an den Tag zu legen.
Herbert Brüser: Emotionen sind grundsätzlich nichts Negatives. Der Mensch lebt zu 80 Prozent von Emotionen und Emotionen haben noch lange nichts mit Gewalt zu tun. Emotionen müssen gelebt werden. Unsere Kinder leben uns das vor und werden immer wieder eingebremst aus dem Elternhaus, hinterher in der Schule. Aber Emotionen gehören doch dazu, müssen ausgelebt und gerade auch bei Kindern gestärkt werden.
Markus Steer: Man muss aber aufpassen, dass man genau das nicht als Ausrede benutzt.
Trainer sind auch Pädagogen
Wie nimmt sich der Bayerische Fußballverband des Themas an?
Bernhard Slawinski: Wir müssen mit den Vereinen zu einer aktiven Zusammenarbeit kommen. Ich weiß natürlich auch, dass bisher zwischen dem BFV und den Vereinen eine sehr große Distanz herrschte. In der letzten Zeit hat man aber gemerkt, dass es langsam zusammenwächst. Wichtig ist, dass alle das Gefühl haben, miteinander zu arbeiten. Wir müssen zusammen Wege und Lösungen finden. Das schaffen wir natürlich nicht von heute auf morgen.
Herbert Brüser: Ich denke, dass die Situation bei der Erwerbung der Trainerscheine ein klein wenig geändert werden muss. Es dürfen in der Ausbildung nicht nur die Grundsätze des Fußballs geschult werden. Vielmehr gehört dort auch der Präventionsbereich dazu. Denn für uns Vereine sind Trainer die Pädagogen, die jeden Tag auf dem Platz stehen.
Otto Luz y Graf: Ich bin nun seit 20 Jahren beim FC Español. Natürlich sind die kulturellen Unterschiede auch auf dem Fußballplatz sichtbar. Die Spanier spielen zum Beispiel anders Fußball als die Deutschen. Und auch die Schiedsrichter pfeifen mit anderen Nuancen. Da bauen sich natürlich Emotionen auf. Ich habe über die Jahre hinaus gesehen, dass das Gewaltproblem gestiegen ist. Es ist natürlich wichtig, dass der BFV die Vereine unterstützt. Aber auch innerhalb der Vereine muss es eine Struktur geben, die den Leuten vor Ort hilft. Die Hauptsache ist eine gewisse Konsequenz und die Gesprächsbereitschaft, die der Verein klar vorgeben muss. Nur so kann man auf die Spieler einwirken. Die interne Kommunikation in den Vereinen ist da aus meiner Sicht sehr wichtig.
München braucht eigene Lösungen
Herr Schweizerhof, Sie sind im BFV für die Prävention im Allgemeinen zuständig. Fußball wird nicht nur in München gespielt, sondern in ganz Bayern. Wo sehen Sie da die Unterschiede?
Frank Schweizerhof: Die Schwierigkeit für uns als Verband ist, das wir immer bayernweit agieren müssen. Alle Lösungen, alle Kampagnen, alle Unterstützungsangebote müssen immer für ganz Bayern gelten. Deshalb hatten wir die speziellen Ereignisse in München auch nicht so zentral im Blick und dementsprechend hatten wir auch keine Lösungen parat.
Wir sind jetzt durch die starke Initiative Fairplay München darauf gekommen, dass München eigene Lösungen, eigene Strukturen und ein eigenes Netzwerk braucht. Wir brauchen Leute, die den Münchner Fußball kennen und die ihn verändern wollen im Zusammenspiel mit den Vereinen, dem Schiedsrichterwesen, unserer Sportgerichtsbarkeit und unseren Spielleitern.
Der Verein zieht voll mit!
Wie stellt sich die Situation konkret beim SV Waldeck-Obermenzing dar?
Herbert Brüser: Im Verein sind insgesamt 42 Nationen vertreten, und es gab in der Vergangenheit immer wieder Probleme. Aber das haben wir unwahrscheinlich gut aufgefangen. Seit dem 1. Juli dieses Jahres gehen wir ein ganz anderes Konzept, in dem wir einen hauptberuflichen Trainer eingestellt haben, der von mittags bis abends da ist. Er hat einen B-Schein, ist pädagogisch gut drauf und lebt Fußball. Das ist uns Vereinsverantwortlichen ganz wichtig, denn wir stehen ja in der Verantwortung gegenüber den Eltern. Zum 1. August haben wir zusätzlich einen Jugendtrainer, der Abitur gemacht hat und jetzt bei uns ein Freiwilliges Soziales Jahr macht. Damit haben wir zwei erwachsene, ausgebildete Trainer, die schon viel entkräften können.
Herr Schmid, Eintracht München hat als Verein nicht den besten Ruf. Wie sieht es momentan bei Ihnen aus?
Hermann Schmid: Wir können natürlich nicht sagen, dass wir nur deshalb in Kritik geraten sind, weil die Schiedsrichter schlecht waren. Das stimmt natürlich nicht. Wir haben einen Migrationsanteil von knapp 80 Prozent. Da kommen zum Teil Kulturen zusammen, die nicht zusammen passen.
Bernhard Slawinski: Eintracht München ist dennoch für mich im Moment das Paradebeispiel schlechthin. Wir haben hier im letzten Jahr Vorfälle gehabt, bei denen wir dachten, dass wir der Sache nicht mehr Herr werden. Wir haben keine Möglichkeiten gesehen, das unter Kontrolle zu bekommen. Es war aber von Vereinsseite ganz massiv der Wunsch da, bei uns mitzumachen, weil sie wussten, dass sie etwas ändern müssen. Und der Verein zieht voll mit. Dass da natürlich ein paar Begleiterscheinungen dazukommen, ist klar. Das Ganze zieht ja meist einen Rattenschwanz nach sich. Auch der Ruf eilt Eintracht München natürlich voraus. Damit hat der Verein zu kämpfen.
Wer diskutiert, fliegt
Welche Veränderungen haben Sie getätigt?
Hermann Schmid: Wir haben zu unseren Trainern gesagt, dass absolute Ruhe herrschen muss, wenn der Schiri schlecht pfeift. Wer mit dem Schiri oder dem gegnerischen Trainer diskutiert, kann nach Hause gehen oder wir ziehen die Mannschaft zurück. Dasselbe haben wir auch im Jugendbereich gemacht: Wer diskutiert, fliegt. Nicht aus dem Verein, aber er wird zumindest für das Spiel gesperrt, muss aber im Training anwesend sein. Wer im Training nicht anwesend ist, spielt dann längere Zeit nicht. Mit der B- und C-Jugend haben wir auch mit den Kontaktbeamten der Polizei zusammengearbeitet und Gespräche geführt. Bei unserer B-Jugend haben wir zudem einen Trainerwechsel vollzogen. Da haben wir jetzt zwei Trainer aus der 1. Mannschaft und die beiden haben die Mannschaft im Griff. Wir haben auch bei unserer 1. Mannschaft bei Beleidigung oder Tätlichkeiten gesagt, dass die Strafen der Spieler zahlt. Zahlt er sie nicht, kann er gehen. Solche Dinge besprechen wir mittlerweile auf jeder Trainersitzung. Es funktioniert aber natürlich nicht immer.
Ist es für die betroffenen Spieler aber nicht schwierig, wenn sie aus den Vereinen fliegen?
Herbert Brüser: Da haben wir gleich das nächste Problem: Wenn Problemspieler, die regelmäßig auffallen, aus den Vereinen raus müssen, dann brauchen wir ein Auffangbecken für die anderen Vereine. Damit die wissen, was genau das für ein Spieler ist. Denn sonst hat der nächste Verein genau dieselben Probleme, weil nichts kommuniziert wird. Wir verteilen das Problem immer weiter. Da müssen unbedingt Lösungen gesucht werden. Man muss auch dem Spieler beistehen. Aber die Verantwortlichen in den Vereinen sind meist damit überfordert, wenn sie mit den betroffenen Spielern sprechen.
Christian Gonzalez Calvo: Wenn solche Spieler wechseln, das spricht sich sehr schnell herum. Da ist es völlig egal, von welchem Verein der Spieler ist.
Hermann Schmid: Es gibt ja schon die Möglichkeit mit einem Konfliktmanager zu arbeiten. Wir haben zum Beispiel Ali Yalpi an Bord. Er hat schon Trainersitzungen mitgemacht und auch schon mit dem einen oder anderen Spieler gesprochen. Man merkt schon, dass das funktioniert. Aber natürlich müssen wir auch schauen, dass wir die auffälligen Spieler in irgendeiner Form in den Griff bekommen. Und dass das nicht immer Spaß macht, ist klar.
Auch Schiedsrichter müssen umdenken
Herr Steer, Sie haben bei Wacker München schon einige gute Lösungsansätze. Was genau machen Sie?
Marcus Steer: Als ich 2006 in die Vorstandschaft gerückt bin, war für mich klar, dass ich etwas für die Bürger in Sendling tun möchte. Ich habe selber am Platz gewohnt und wusste auch, dass es ein sozialer Brennpunkt ist, weil viele Kulturen aufeinander treffen. Wir hatten auch viele junge Leute ohne Perspektiven. Ich habe viele Sachen installiert und schon damals mit Ali Yalpi ein eigenes Projekt gestartet Perspektive durch Ehrenamt. Hier haben wir Jugendliche ab 14 Jahren zum Schiedsrichter oder zum Trainer ausgebildet, weil ich festgestellt hatte, dass man da bei jungen Erwachsenen viel erreichen kann. Das habe ich auch von Jugendrichtern bestätigt bekommen. Wir haben bei den jungen Leuten Qualitäten entwickelt, die sie persönlich weiterbringen und ein Schritt ins Leben sind.
Herr Weber, Sie waren selbst als Schiedsrichter aktiv. Wie ist Ihre Einschätzung des Ganzen?
Sebastian Weber: Aus Schiedsrichtersicht ist das immer ein zweischneidiges Schwert, denn man selbst hat auch Emotionen und möchte keinen Fehler machen. Mir ist es selber schon einmal passiert, dass ich in einem Spiel tätlich angegriffen worden bin. Im Nachhinein habe ich mir vielleicht selber auch Fehler zuzuschreiben. Ich denke, da müssen auch die Schiedsrichter ein bisschen umdenken. Wir müssen Schiedsrichtern klar machen, dass sie nicht mit einer gewissen Arroganz auftreten dürfen. Es kann nicht sein, dass sie über allem stehen. Denn mit einer falschen Entscheidung schafft man es, ein ganzes Spiel zu kippen und die ganze Zuschauermasse aufzubringen. Und das hält meist ja nicht nur für dieses eine Spiel an. Das bleibt haften. Nicht mal unbedingt bei der gewissen Person, sondern an allen Schiedsrichter.
Wenn die Stimmung überkocht ...
Welche Rolle spielen die Zuschauer?
Herbert Brüser: Die Emotionen der Zuschauer können wir von Vereinsseite nicht steuern, weil wir keinen Einfluss darauf haben. Zudem gibt es auch immer die Aggressoren, die während des Spiels sehr schnell merken, wen man piesacken kann. Wenn die Zuschauer anfangen, den Schiedsrichter verbal anzugreifen oder den gegnerischen Spielern etwas hinterherrufen, schaukelt sich das ganz schnell hoch.
Hermann Schmid: Natürlich tragen auch die Zuschauer einen großen Teil dazu bei, um die Stimmung zum Überkochen zu bringen.