Hilfe für Frauen per Telefon: Schwabinger Einrichtung wird 20

Schwabing · Erster Schritt: Anruf

Ein offenes Ohr für Frauen in der Krise: Frauennotrufgeschäftsführerin Simone Ortner (l.) und ihre Kolleginnen.	Foto: scy

Ein offenes Ohr für Frauen in der Krise: Frauennotrufgeschäftsführerin Simone Ortner (l.) und ihre Kolleginnen. Foto: scy

Schwabing · Hilferufe aus München und der Region landen in Schwabing: Seit 20 Jahren kümmert sich der Telefonnotruf um Frauen mit Gewalterfahrungen. Ihre Stimme ist leise, zögerlich. Man hört, wie schwer es ihr fällt, zu sprechen.

»Ich habe so große Angst vor dieser Nacht«, beginnt die Frau dann am anderen Ende der Telefonleitung. »Plötzlich sind die Bilder wieder da«, fährt sie fort. Sie erzählt, sie sei auf einer Familienfeier gewesen und dort habe sie einen Mann wieder gesehen, den sie am liebsten vergessen würde. Ihre Zuhörerin reagiert behutsam. Verständnisvoll versucht sie zusammen zu fassen: »Sie haben eine Gewalterfahrung in Ihrer Kindheit gehabt und sind jetzt diesem Täter wieder begegnet.« Ein tiefes Ausatmen bei der Anruferin. »Ja, genau so ist es«, sagt sie. Soweit ein Ausschnitt aus einem nachgestellten Gespräch.

So oder ähnlich läuft es jeden Tag und jede Nacht ab beim Frauennotruf München. Über 1500 Anrufe jährlich werden in der Schwabinger Zentrale an der Saarstraße beantwortet. Inzwischen können Münchnerinnen seit 20 Jahren auf diese Institution zählen, wenn sie Opfer von Gewalterfahrungen geworden sind. »Menschen, die Gewalt erleben, haben das Recht auf Schutz und Unterstützung«, sagt Geschäftsführerin Simone Ortner. Niemand müsse mit seinen schrecklichen Erfahrungen alleine bleiben. »Gewalt macht krank. Umso wichtiger ist es, zu wissen, dass es Hilfe gibt. Verletzungen können heilen. Ein Anruf kann der erste Schritt sein.« Der Frauennotruf München berät und unterstützt Frauen und Mädchen ab 14 Jahren. Er ist eine spezialisierte Fachberatungsstelle zum Thema sexualisierte Gewalt in all ihren Erscheinungsformen. Also der richtige Ansprechpartner unter anderem für Frauen, die in der Kindheit sexuellen Missbrauch erlebt haben, in der Partnerschaft vergewaltigt oder am Arbeitsplatz sexuell belästigt wurden. Und auch für Frauen, die vom Ex-Partner verfolgt und bedroht werden oder für solche, die einer Frau helfen möchten, die Gewalt erlebt. Zum Glück würden sich immer mehr Frauen trauen, darüber zu sprechen, sagt Ortner.

Von 10 bis 18 Uhr an den Wochentagen ist der Frauennotruf geöffnet, das Krisentelefon auch in den Abend- und Nachtstunden, täglich ab 18 Uhr. Bei Frauen mit Gewalterfahrungen seien vor allem die nächtlichen Stunden schwer in den Griff zu kriegen, erklärt Notrufmitarbeiterin Cordula Weidner. »Wenn der Alltag sie nicht mehr ablenkt, sind die Ängste viel präsenter.« Der Schwerpunkt am Telefon liege bei zeitnaher Unterstützung. Das heißt, die Notrufmitarbeiterinnen sorgen dafür, dass die Anruferinnen die nächsten Stunden stabil überstehen können. »Vorrangig geht es uns darum, sie zu beruhigen und gut durch die Nacht zu bringen«, sagt Weidner. Hilfreich seien dabei »kleinere, handfeste Sachen«. Etwa die Betroffenen anzuregen, sich eine Wärmeflasche zu machen, ein Bad zu nehmen oder ein Hörbuch anzuhören. »Was gut tut, entspannt«, so Weidner.

In einem nächsten Schritt wird gemeinsam überlegt, welche möglichen Maßnahmen am nächsten Tag helfen würden. »Das gibt Sicherheit und die Kontrolle wieder zurück.« Der Frauennotruf München hat vielfältige Unterstützungs- und Informationsangebote, sie sind kostenlos und auf Wunsch anonym. Unter anderem kann Traumatherapie in Anspruch genommen werden oder andere Therapieangebote durch Kollegen münchenweit. Die Betroffenen werden bedarfsgerecht weiter verwiesen. Des weiteren wird Beratung und Begleitung im Strafverfahren angeboten. »Sind Frauen unsicher, ob sie eine Anzeige machen wollen, geben wir Entscheidungshilfen«, so Ortner. Bei Bedarf begleiten die Notrufmitarbeiterinnen auch zur ärztlichen Untersuchung, zur Polizei und zu Gerichtsverhandlungen.

Lernen, im Alltag mit Ängsten umgehen

In so genannten Skills- oder Ressourcengruppen lernen Frauen mit Gewalterfahrungen unter anderem im Alltag mit ihren Ängsten besser umzugehen und ihre Spannungen zu regulieren. Zwei Gruppen mit acht bis zehn Teilnehmerinnen treffen sich jährlich, zehn Treffen sind es insgesamt. Demnächst startet eine Gruppe speziell für Migrantinnen. Auch Frauen über 60 Jahren erreicht der Frauennotruf. »Darauf sind wir besonders stolz. Denn ältere Generationen sind besonders schwer zu erreichen. Sie haben es noch nicht gelernt, darüber zu sprechen«, berichtet Ortner.

In so genannten Frühstücksgruppen kommen nun regelmäßig Seniorinnen zusammen, unter anderem in den Alten- und Servicezentren (ASZ) Schwabing und Obergiesing. Sehr nachgefragt sind auch die speziell für traumatisierte Frauen konzipierten Selbstverteidigungskurse. Finanziert wird der Frauennotruf zu 90 Prozent von der Landeshauptstadt München. Es handelt sich dabei um eine freiwillige Leistung des Sozialreferats. »Das steht schon immer hinter uns«, so Ortner. Und so werden Frauen hoffentlich auch in Zukunft nicht alleine gelassen, wenn sie dunkle Stunden erleben müssen. Der Frauennotruf München ist unter der Telefonnummer 76 37 37 zu erreichen, Montag bis Freitag von 10 bis 18 Uhr und über das Krisentelefon täglich von 18 bis 24 Uhr, auch an Wochenenden und Feiertagen, E-Mail-Beratung unter krisentelefon@frauennotrufmuenchen.de, weitere Informationen im Internet unter www.frauennotrufmuenchen.de. Sylvie-Sophie Schindler

Artikel vom 04.12.2012
Auf Facebook teilen / empfehlen Whatsapp

Weiterlesen





Wochenanzeiger München
 
Kleinanzeigen München
 
Zeitungen online lesen
z. B. Samstagsblatt, Münchener Nord-Rundschau, Schwabinger-Seiten, Südost-Kurier, Moosacher Anzeiger, TSV 1860, ...