Streit um »Kolonial«-Straßennamen flammt wieder auf

Bogenhausen / Trudering · Namibia in München

Sie erörterten im Rathaus das Pro und Kontra von Straßenumbenennungen,  darunter Stadtrat Podiuk (2. von links), die Bogenhauser BA-Vorsitzende Pilz-Strasser (3. von rechts) sowie Vertreter des Ausländerbeirates.	Foto: bus

Sie erörterten im Rathaus das Pro und Kontra von Straßenumbenennungen, darunter Stadtrat Podiuk (2. von links), die Bogenhauser BA-Vorsitzende Pilz-Strasser (3. von rechts) sowie Vertreter des Ausländerbeirates. Foto: bus

Bogenhausen/Trudering · Bei einer Podiumsdiskussion Ende September im Münchner Rathaus flammte ein alter Streit wieder auf. Es ging um die Frage, ob Straßennamen, die nach Schauplätzen und Offizieren der deutschen Kolonialzeit benannt sind, umbenannt werden müssen. Münchens Ausländerbeirat hatte letzten März beantragt, dass zwölf Straßen in Bogenhausen und Waldtrudering, die auf koloniale Kriegsverbrechen zurückgehen, umbenannt werden.

Stadtrat Hans Podiuk (CSU) fand die erneute Diskussion »sehr ärgerlich«. Ihm pflichtete die Vorsitzende des Bezirksausschusses (BA) aus Trudering, Stephanie Hentschel (FW), bei; auch sie sträubte sich gegen neue Straßennamen im Kolonialviertel und blieb damit ihrem ehemaligen Parteikollegen treu. Sie sah die Truderinger als Sündenböcke in einer landesweiten Diskussion und möchte die Anwohner vor den erneuten Vorwürfen und Emotionen schützen. Sehr viel differenzierter betrachtete die Bogenhauser BA-Vorsitzende Angelika Pilz-Strasser von den Grünen das Thema. Man sei nicht unaufgeschlossen gegen Umbenennungen. Große Begeisterung für Veränderungen strahlt auch sie allerdings nicht aus.

Die haben dagegen der Ausländerbeirat und sein Sprecher Hamado Dipama aus Bukina Faso. Sie brachten die Verbrechen, die um 1900 in der damaligen Kolonie Deutsch-Südwestafrika (heute Namibia) oder in anderen afrikanischen Ländern geschahen, in die Diskussion. Von 1884 bis 1915 war Namibia unter deutschem Regime. Nach dem Ersten Weltkrieg blieb es Wunschvorstellung, Kolonien zu besitzen. Gemäß diesem Zeitgeist schuf man in deutschen Städten wie Berlin und München Kolonialviertel. Nach der Eingemeindung Truderings entstanden 1933 die Straßenzüge mit Ländernamen wie Togo- oder Kameruner Straße, aber auch zu Ehren einiger grausamer Offiziere des Deutschen Reiches wie Karl von Gravenreuth oder Lothar von Trotha, dessen Straße als einzige bereits umbenannt wurde und heute nach den Opfern Hererostraße heißt.

»Mit dieser ganzen Diskussion tun wir uns nichts Gutes«, sagte Angelika Pilz-Strasser. »Es geht nicht um Schuld, Täter und einen Wettbewerb früherer Grausamkeiten, aber darum, heute Verantwortung zu übernehmen, was Deutsche getan haben. Respekt sollte uns bewegen, die Opferperspektive einzunehmen und uns beispielsweise mit der Kolonialzeit zu beschäftigen.« Aus ihrer Arbeit mit Flüchtlingen wisse sie, wie heilend die Anerkennung von Leid für die Betroffenen sei. Genau diesen Punkt sah ihre Truderinger Kollegin Stephanie Hentschel nicht und fürchtete, dass man sich zu einseitig auf die deutsche Schuld festlegt. Das ließe die innerafrikanische Geschichte außer Betracht.

In Zamdorf geht es um Hermann von Wißman und Hans Dominik, die für Brutalitäten in Deutsch-Ostafrika und Kamerun verantwortlich sind. »Das Stadtarchiv und andere Historiker haben genau diese Straßen als besonders problematisch eingestuft«, so Siegfried Benker, Vorsitzender der Grünen-Stadtratsfraktion. Er hatte schon 2003 die Überprüfung von 29 Münchner Straßen mit kolonialem Kontext angeregt. »Damit habe ich einen Aufschrei der CSU ausgelöst.« Jahrelang wurde erbittert diskutiert, bis 1993 die ehemalige Lothar-von-Trotha-Straße umbenannt wurde. Damit habe man schon damals genug getan, der neue Name sei unnötig gewesen, ergänzte Hans Podiuk. »Der Versuch, die Geschichte zu tilgen ist ein totalitärer Ansatz. Das muss man aus der Zeit heraus sehen.« Die Kolonialzeit sei kein deutsches, sondern eine europäisches Problem. Darüber hinaus gebe es in München im Haidhauser Franzosenviertel und an vielen anderen Stellen heute »schwierige« Straßennamen.

Ausländerbeirat: »Kolonialzeit nicht verharmlosen«

Der Ausländerbeirat und seine Unterstützer sprachen dagegen von der erforderlichen kritischen Aufarbeitung der Vergangenheit. »Bis heute begegnen Europäer Afrikanern nicht auf gleicher Augenhöhe«, sagt Dipama, »man sollte die deutsche Kolonialzeit auf keinen Fall verharmlosen.« Mangelndes Wissen, wenig Geschichtsbewusstsein oder fehlende Empathie seien Gründe für den Widerstand gegen die Umbenennungen, so Diskussionsteilnehmerin Nadja Ofuartey-Alazard. Und genau am Wissen könne man arbeiten und aufklären. Das fordert auch ein Waldtruderinger Anwohner, der offen ist gegenüber der Änderung von Straßennamen. Ein anderer kann sich damit nicht anfreunden. »Ich bin in Waldtrudering geboren und hänge sehr an den Straßen. Wir sind nicht ignorant und akzeptieren Erklärungstafeln.

«Angeblich schon hundert Unterschriften hat er gegen Namensänderungen gesammelt. Allerdings haben nur wenige betroffene Anwohner den Weg ins Rathaus gefunden. Statt Umbenennung, die die Vergangenheit wegwische, schlug ein entfernter Nachfahre der von Gravenreuths Städtepartnerschaften mit afrikanischen Kriegsorten vor. »Das kostet allerdings Mühe und auch Geld.« Im Rathaussaal ließ sich trotz Befürwortern ein kleiner Trend gegen die Namensänderungen ausmachen. Viele wollten aber positiv am Thema arbeiten und gemeinsam mit den Anwohnern mehr erfahren und aufklären. Passieren wird in München vermutlich erst einmal nichts. Der Ausländerbeirat hat aber nach wie vor unter anderem die Umbenennung der Wißmann-, Dominik-, Bennigsen-, Leutwein- und Lüderitzstraße im Stadtbezirk Bogenhausen im Visier. Die Empfehlungen liegen jetzt beim Vermessungsamt.

bus

Artikel vom 09.10.2012
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