Kaminkehrer Karl Giglberger verlässt Schwabing

Schwabing · Ein Glücksbote geht

Karl Giglberger war 27 Jahre lang auf den Dächern in Schwabing unterwegs. Jetzt nimmt er Abschied. 	Foto: scy

Karl Giglberger war 27 Jahre lang auf den Dächern in Schwabing unterwegs. Jetzt nimmt er Abschied. Foto: scy

Schwabing · Die Frau, dunkle Haare, Kittelschürze, steht im Hausgang und kann nicht fassen, was sie da gerade gehört hat. »Nein, das geht nicht«, protestiert sie. Pause. Kopfschütteln. Dann wiederholt sie: »Das geht doch nicht.«

Sie blickt Karl Giglberger an, und der zuckt mit den Schultern. »Es ist leider wahr«, sagt er und man sieht ihm an, dass er auch lieber etwas anderes erzählen würde. »Aber Sie gehören doch nach Schwabing, sie gehören hierher zu uns«, sagt die Frau entschieden. Das findet Karl Giglberger, der Kaminkehrer, auch. 27 Jahre lang war er auf den Dächern Schwabings unterwegs, 450 Häuser, 4000 Haushalte, 25.000 Schornsteine – doch nun ist Schluss. Weil sein Chef in Frührente gehen muss, bleibt auch Giglberger nichts anderes übrig als seinen Dienst zu quittieren.

Ein anderer wird ab 15. August seinen Job übernehmen. »Ich kann gar nicht sagen, wie schwer mir das fällt«, sagt der 50-Jährige. Und auch für seine Kunden ist es alles andere als ein leichter Abschied. In diesen Tagen hört er immer wieder Sätze wie diese: »Das geht nicht«, »Können Sie nicht bleiben?«, »Kommen Sie bald wieder zu uns zurück.« Gestern habe einer gesagt, dass er ihn zu einem Abschiedsessen einladen werde, wenigstens das, wenn man es denn schon nicht ändern könne, dass er geht. »Die Leute wollen mich am liebsten behalten«, erzählt der gebürtige Haidhauser. »Und ich würde auch am liebsten bleiben wollen. Man ist ja irgendwie zusammengewachsen in all der Zeit.« Giglberger sagt, er könnte zu jedem Haus eine Geschichte erzählen, also mindestens eine.

Der sechste Kehrbezirk – von insgesamt 96 münchenweit – das war sein Bezirk, angefangen von der Leopoldstraße 85 bis zur Kaiserstraße, Kurfürstenplatz, Belgrad – und Destouchesstraße und alles, was dazwischen liegt. Im Quartier hat er zig Kinder aufwachsen sehen, einige sind inzwischen längst größer als er, manchmal wurde er zu Hochzeiten eingeladen, gab es etwas zum Freuen, freute er sich mit, und auch in schweren Zeiten war er da, hörte sich die Sorgen und Nöte seiner Kunden an.

Neulich war er auf einer Beerdigung, die verstorbene Dame, eine Kundin, hatte niemanden mehr, nur Giglberger nahm an der Trauerfeier teil und eine Nachbarin. »Ich konnte ihr den letzten Wunsch erfüllen und ihre geliebte Katze gut unterbringen«, erzählt er. Bei seinem Job gehe es vor allem um die Menschen, darum, dass man sich gegenseitig hilft. Nächstenliebe, für ihn ist´s nicht nur ein Wort, auch wenn er das vielleicht anders formulieren würde. Und manche bestehen darauf, ihm unbedingt auch etwas Gutes zu tun. Eine ältere Frau, die inzwischen nicht mehr lebt, lud ihn jeden Freitag zu sich zum Mittagessen ein. Paniertes Schnitzel mit Kartoffelsalat und grünem Salat. »Und dazu habe ich dann eine halbe Bier trinken müssen, darauf hat sie bestanden«, erzählt er lachend. Anschließend habe sie ihm jedes Mal Schokolade für seine beiden Söhne mitgegeben.

»Heute lernt man in der Ausbildung, dass man bitteschön Abstand halten soll zum Kunden, bloß nicht persönlich werden, sondern sich auf die technischen Dinge konzentrieren«, berichtet Giglberger. »So wie ich´es mache, das ist nicht mehr zeitgemäß.« Er grinst. Er sagt, er würde es trotzdem immer wieder genauso machen. Gerade heutzutage, wo die Menschen sich immer mehr voneinander entfernen, wo langjährige Hausgemeinschaften auseinanderbrechen, weil sie von Immobilienhaien rausgejagt werden.

Giglberger war 14 Jahre alt, da sah er rauf auf ein Häuserdach, und da stand ein Kaminkehrer. »Da wusste ich, das ist es«, sagt er. Die Meisterprüfung, und das ärgere ihn, die habe er damals nicht gemacht. »Sonst würde der Kehrbezirk jetzt mir gehören.« Doch sonst, er habe es auf jeden Fall richtig gemacht, die Arbeit mache ihm Spaß, jeden Tag. Freie Zeiteinteilung, das mag er, und dass »ich nicht nach Befehl arbeiten muss, sondern einen Beruf habe, bei dem ich selber denken muss«. Gesundheitliche Probleme so wie manche anderen Kollegen, hat Giglberger nicht. Keine Rückenprobleme, keine Knieprobleme, auch die Lunge ist gut in Form. Für die manchmal 1000 Stufen am Tag, die Schwabings Altbauten so mit sich bringen, hat er immer noch genug Puste. Seine beiden Unfälle gingen glimpflich aus, einmal rutschte er vom Dach, einzig das Schneegitter verhinderte, dass er aus 26 Metern Höhe auf die Straße fiel.

Einer, der Glück hat – und der, wie bereits Kinder wissen, auch Glück bringt. »Das höre ich tatsächlich jeden Tag. Es gibt immer mindestens einen, der zu mir sagt, dass ich ihm Glück bringe. In welchem Job gibt es das schon?« Sagt es und grinst. Manchmal geht Giglberger an Kindergärten vorbei und die Erzieherinnen sprechen ihn an, bitten ihn, er möge doch kurz reinkommen und den Kindern von seiner Arbeit erzählen. Nun wird es bald ein anderer sein, der im sechsten Kehrbezirk unterwegs ist, wer, das ist noch nicht bekannt. »Ich wünsche meinen Kunden viel Glück mit dem Nachfolger«, sagt Giglberger. »Und ich möchte mich bei allen bedanken für 27 wunderschöne Jahre.« Er wird nun nicht mehr alle sehen, am Freitag ist sein letzter Arbeitstag. »Am liebsten würde ich mich von jedem Kunden per Handschlag verabschieden, weil mir jeder einzelne lieb und wichtig war. Ich hoffe, den einen oder anderen sehe ich mal wieder.« Wer ihn treffen will, der findet ihn in Zukunft ihn Daglfing, das ist der neue Kehrbezirk von Karl Giglberger, dem Kaminkehrer. Sylvie-Sophie Schindler

Artikel vom 31.07.2012
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