Melanie Egerer spricht in Ebersberg über ihr Leben als Blinde

Ebersberg · Blau wie das Meer

Melanie Egerer ist von Geburt an blind. In Ebersberg spricht sie anlässlich einer Ausstellung in der Stadtbücherei über ihren Alltag.	Foto: Sybille Föll

Melanie Egerer ist von Geburt an blind. In Ebersberg spricht sie anlässlich einer Ausstellung in der Stadtbücherei über ihren Alltag. Foto: Sybille Föll

Ebersberg · Wenn Melanie Egerer abends nach Hause kommt, schaltet sie kein Licht an. Das braucht sie auch nicht, für sie ist es immer dunkel. Von Geburt an ist die 31-Jährige blind.

Am Dienstag, 24. April, kommt Egerer, die beim Bayerischen Blinden- und Sehbehindertenbund arbeitet, um 19.30 Uhr nach Ebersberg und berichtet über ihr Leben und ihren Alltag. Ihr Besuch findet anlässlich einer Ausstellung zum Thema »Blindheit und Sehbehinderung« in der Stadtbücherei Ebersberg statt, die gestern eröffnet wurde. Anlass ist der 150. Geburtstag von Louis Braille, dem Erfinder der Blindenschrift.

Melanie Egerers Wohnung ist geschmackvoll eingerichtet, die Möbel farblich aufeinander abgestimmt. Sie und ihr Freund, mit dem sie zusammen lebt und der erst mit Anfang 20 erblindete, ließen sich von Freunden beraten. »Blau ist meine Lieblingsfarbe. Ich weiß zwar nicht, wie Blau aussieht, aber alle sagen, das Meer sei blau. Und das liebe ich«, sagt Egerer. Heute Abend gibt es bei den beiden Spaghetti Bolognese. Der Topf mit Wasser steht schon auf dem Herd, sie tastet das Bedienfeld ab, um den Regler für die richtige Platte zu finden. Rund um jeden Knopf hat sie Punkte aufgeklebt, die die Hitzestufen markieren. »Wir kochen sehr oft und gehen auch selbst einkaufen. Wir haben Glück: In unserer Nähe ist ein Supermarkt mit sehr nettem Personal, das uns hilft.« Mittlerweile gibt es sogar Scanner mit Sprachfunktion, die Blinden genau sagen, was die Packung oder die Dose enthält. »Aber wenn wir das nutzen würden, bräuchten wir Stunden zum Einkaufen.« Zu Hause gebrauchen die beiden jedoch einige andere Hilfsmittel: eine Küchenwaage mit einer Skala in Blindenschrift und sogar eine sprechende Personenwaage. »Wenn mein Vater zu Besuch ist und sich drauf stellt, macht er immer die Tür zu«, erzählt Egerer lachend.

Die Technik und Louis Braille machten es auch möglich, dass Egerer Germanistik studieren konnte. »Ich bekam die gesamte Literatur auf meinen PC und konnte sie mit Hilfe der Braille-Tastatur lesen«, erklärt sie. Wie die Hämmerchen bei einem Klavier schnellen die Punkte aus dem flachen Gerät heraus, ihre Fingerkuppen nehmen jede Bewegung wahr. »Im Grunde konnte sie ihn ja wohl nicht hindern…« liest sie einen Auszug aus einem Roman, in der gleichen Geschwindigkeit, in der Sehende aus einem Buch lesen. Wenn Egerer morgens aus dem Haus geht, um zur Arbeit zu fahren, kommt die größte Herausforderung für sie: S-Bahn fahren. »Ich habe zwar einen Blindenstock, mit dem ich Hindernisse und Abgründe ertasten kann, aber ich bin trotzdem unsicher. Da bin ich oft froh, wenn mir jemand hilft.« Wie sie den richtigen Weg findet? »Ich höre, wenn eine Straße enger oder breiter wird oder ich in Richtung einer Wand laufe. Der Schall wird überall anders reflektiert.«

Bis Freitag, 11. Mai, sind in der Stadtbücherei, Baldestraße 18, Kinder- und Jugendbücher sowie Filme und CD’s blinder Musiker anzuschauen, außerdem Romane zum Thema, wissenschaftliche Bücher aus dem Bereich Pädagogik, Psychologie und Integration. Eine Besonderheit sind einige Exemplare der Jugendzeitschrift »Geolino« in Blindenschrift. »Sie wurden jedoch nicht vom Herausgeber gefertigt, sondern von einer Mutter, deren Sohn erblindet ist«, erklärt Büchereileiterin Birgit Eichinger. Ein weiteres Schmankerl: das schwarze Buch der Farben für Blinde und Sehende gleichermaßen. Auf einer Seite sind schwarze Federn auf schwarzem Hintergrund als Relief, daneben der Text in normaler sowie in Braille-Schrift: »Für Thomas schmeckt die Farbe Gelb nach Senf, und sie ist so weich wie der Flaum von Küken.«

Blinde sind im Vergleich zu Menschen mit anderen Handicaps eher eine Randgruppe. »In Ebersberg sind nur vier Blinde offiziell gemeldet. Wir vermuten aber, dass es mehr sind«, so Irmgard Huber, Behindertenbeauftragte der Stadt Ebersberg. Auf ihre Bedürfnisse versucht die Verwaltung dennoch einzugehen. »Tastaturen von Computern in öffentlichen Gebäuden sind teilweise mit Blindenschrift, und wenn irgendwo in der Stadt Baumaßnahmen geplant sind, werden alle persönlich angeschrieben, damit sie sich darauf einstellen können und keine bösen Überraschungen erleben«, erklärt Huber. Auch in der Bücherei wurde an sie gedacht. Ein gewisser Grundstock an Literatur ist vorhanden, per Fernleihe können aber auch weitere Bücher bestellt werden. Dass in Ebersberg nur so wenige Blinde registriert sind, wundert Egerer nicht: »Viele sehbehinderte Menschen schämen sich, offizielle Hilfe in Anspruch zu nehmen – oder sie wollen sich ihr Handicap nicht eingestehen.« Für diese Menschen könnte der Bayerische Blinden- und Sehbehindertenbund eine erste Anlaufstelle sein.

Die Landesgeschäftsstelle der Selbsthilfeorganisation hat ihren Sitz an der Arnulfstraße 22 in München und ist unter Tel. 0 89/55 98 80 erreichbar. Auf der Homepage www.bbsb.org gibt es außerdem Informationen auch für Sehende rund um das Thema Blindheit und Sehbehinderung. Sybille Föll

Artikel aktualisiert am 19.04.2012.

Artikel vom 17.04.2012
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