Nach 85 Jahren in der Maxvorstadt schließt die Erlöserkirche

Zentrum · »Aderlass« Umzug

Die ersten Kisten sind gepackt: Raphael Burkhardt, Evelyn Striewski, Friedemann Burkhardt und Manfred Högg (v. l.) sind bereit für den Umzug	Foto: scy

Die ersten Kisten sind gepackt: Raphael Burkhardt, Evelyn Striewski, Friedemann Burkhardt und Manfred Högg (v. l.) sind bereit für den Umzug Foto: scy

Zentrum · Ein Abschied nach 85 Jahren: Die evangelisch-methodistische Erlöserkirche München zieht in diesen Tagen aus Platzgründen aus ihren Räumen an der Enhuberstraße 10 aus. Obdachlos werden die Gemeindemitglieder deshalb aber nicht. Eine neue Heimat ist gerade am Entstehen. Das neue Gemeindezentrum im Norden, auf einem 3.500 Quadratmeter großen Grundstück an der Hanauer Straße 54, befindet sich aktuell im Rohbau – und soll, so denn alles nach Plan läuft, am dritten Adventssonntag eröffnet werden.

Bis dahin sind´es freilich noch einige Monate, deshalb greift derweil eine Übergangslösung: Alle Angebote der Gemeinde können an verschiedenen Standorten im Stadtgebiet weiterhin genutzt werden. Doch so »ohne« ist diese Phase nicht, wie Pastor Friedemann Burkhardt berichtet: »Diese außergewöhnliche Situation stellt uns vor eine besondere Herausforderung.« Wesentlich ist vor allem, dass die Gottesdienste weiterhin abgehalten werden können. »Das Geld, für ein paar Monate extra Räume anzumieten, haben wir nicht«, sagt Manfred Högg, der in der Gemeinde unter anderem für Fundraising zuständig ist. Glück also, dass die Evangelisch-Lutherische Heilig-Geist-Kirche in Moosach ihre Gastfreundschaft angeboten hat. Ab Sonntag, 1. April, finden dort also jeweils um 12 Uhr die Gottesdienste statt. Die Wochenendveranstaltungen werden in der Christuskirche in Pasing, Irmonherstraße 11, abgehalten, wo auch die Büros untergebracht sind. Das wöchentliche Taekwondo-Angebot läuft ohnehin noch in einer eigens von der Stadt angemieteten Turnhalle. Andere, wie etwa die Eltern-Kind-Gruppen, haben ihre Treffen vorübergehend auf private Wohnungen verlegt. »Wir helfen alle zusammen, dass alle Gemeindekreise weiter laufen können«, so Evelyn Striewski, die vor allem in der Kinder- und Jugendarbeit aktiv ist.

Auch wenn dem einen oder anderen der Abschied von dem seit 1927 genutzten Anwesen in der Maxvorstadt schwer fällt, die Begeisterung über das neue Gemeindezentrum überwiegt. Schon seit über zehn Jahren spukt der Plan, umzuziehen, in den Köpfen herum. Und irgendwann gab es kein Rütteln mehr an einer offensichtlichen Tatsache. »Die Räumlichkeiten sind einfach viel zu eng, manche sind sogar ohne Tageslicht«, erzählt Striewski. Man habe alle größeren Aktivitäten, alle Feste ausschließlich in dem größten aller Räume, dem Gottesdienstraum, abgehalten. »Das ist schon arg befremdlich, wenn die Route beim Seifenkistenfahren durch den Altarbereich durchgeht.« Die Diskussion über einen Standortwechsel sorgte jedoch bei einigen Gemeindemitgliedern für großen Unmut. Da gab es auf der einen Seite die Besitzstandswahrer, die um jeden Preis weiter machen wollten wie bisher, und auf der anderen Seite diejenigen, die neue Wege gehen wollten. Im Jahr 2003 schließlich kam es zum Eklat. »Es gab einen kräftigen Aderlass, viele verließen die Gemeinde, wir mussten wieder ganz klein anfangen«, erinnert sich Högg. Heute kommen zu den Gottesdiensten regelmäßig 90 bis 200 Erwachsene und 40 Kinder – aus sehr unterschiedlichen sozialen Schichten. »Da steht dann der Professor neben dem Asylbewerber«, so der Pastor.

Mit Spenden und Fremdkapital muss das ersehnte Projekt gestemmt werden: Rund 6,2 Millionen Euro kostet der neue Bau. Der finanzielle Löwenanteil kommt aus dem Verkauf bisher genutzter Räume. Das zukünftige Gemeindezentrum ist gut doppelt so groß und besteht aus drei Trakten: Im vorderen Bereich entsteht ein Mehrzweckraum, in der Mitte der Gottesdienstsaal, der bis zu 300 Gläubige fassen wird, im hinteren Gebäudeteil sind die Räume für die Kinder und Jugendlichen – und im Keller findet sich ein großzügiger Sportraum. Weitere Vorteile: Der Anschluss an U-Bahn und Bus sind optimal, direkt hinter dem Grundstück liegt ein öffentlicher Park.

Nach eineinhalb Jahren Suche, die laut den Verantwortlichen teilweise sehr frustrierend war, so dass man den Plan beinahe aufgegeben hätte, fühle es sich nun an, als hätte man das große Los gezogen. »Das Grundstück an der Hanauer Straße hat alles andere getoppt«, freut sich Burkhardt. Mit dem Umzug könne die Gemeinde auch ihre Mission besser erfüllen. »Gemeinde ist nicht dazu da, dass sie in ihrem eigenen Saft schmort, sondern sie soll sich öffnen«, so der Pastor. Als »Gemeinde der Tat« wolle man sich für die Stadt, für den Stadtteil engagieren, für Menschen, die Hilfe brauchen, Sozialarbeit leisten, denn das sei die gelebte Nächstenliebe, von der Jesus spricht. »Christsein kommt dann zum Ziel, wo wir anderen dienen«, sagt Burkhardt.

Die evangelisch-methodistische Erlöserkirche gehört zu den evangelischen Freikirchen. Rund 400 Menschen zählen zur Gemeinde – mit steigender Tendenz. »Besonders bei Jugendlichen ist das Interesse größer geworden. Immer mehr wollen sich taufen lassen«, berichtet Burkhardt. Auch alleinstehende ausländische Mitbürger würden sich immer häufiger melden. Weltweit gibt es rund 70 Millionen Methodisten, in Deutschland 80.000. »Wer sich bewusst zum Glauben an Jesus Christus bekennt, kann sich in unsere Kirche als Mitglied aufnehmen lassen«, so Burkhardt. Ihren Anfang nahm die Glaubensgemeinschaft vor gut 250 Jahren. Studenten trafen sich in England regelmäßig zum Gebet und Bibellesen und halfen Armen und Kranken. Schließlich, da immer weniger Menschen in die Kirchen kamen, fing einer der Studenten, John Wesley, an, auf öffentlichen Plätzen zu predigen – und begeisterte die Massen. Und heute? »Es ist der Geist der Zeit: Bei vielen Menschen ist die Sehnsucht nach Spiritualität da und nach Anschluss an eine Kraft, die ich mir selber nicht geben kann«, so Burkhardt.

Weitere Informationen zur Kirche und zum Umzug gibt es unter Tel. 54 32 08 64 und im Internet unter www.er loeserkirchemuenchen.de. Bau-Spendenkonto: EmK Erlöserkirche München, Postbank München, Konto-Nummer 2 86 94 58 08, Bankleitzahl 70 01 00 80, Verwendungszweck Bauspende Gemeindezentrum.

Sylvie-Sophie Schindler

Artikel vom 20.03.2012
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