Zweiter Teil des Gesprächs mit Curate Joel Love der Priory of Lancaster

München · „Herzlich Willkommen in unserer Pfarrei“

Curate Joel Love im Gespräch mit Philipp von der Wippel.

Curate Joel Love im Gespräch mit Philipp von der Wippel.

München · Mit einem Mann der Kirche kann man sich über die Kirchen unterhalten. Mit einem Engländer, der München kennt, über die beiden europäischen Nachbarn. Der Giesinger Austauschschüler Philipp von der Wippel (16) hat mit Joel Love einen Mann getroffen, der diese beiden Themen vereint.

Goodbye Germany, England we’re coming

„I’m from Munich in Germany.“ – „Herzlich Willkommen in unserer Pfarrei.“ Das waren die Worte gewesen, die mich veranlasst haben, genauer nachzuhaken. Im ersten Teil unserer Unterhaltung hat mir Curate Joel Love der Priory of Lancaster von seinem Werdegang vom Linguistikstudium zum Priesterseminar erzählt. Heute interessieren mich besonders seine Erlebnisse während des Auslandssemesters in München, der direkte, schonungslose Vergleich zwischen England und Deutschland und seine Einschätzungen gegenüber dem Zusammenschluss der anglikanischen und der katholischen Kirche.

Philipp: Durch dein Germanistiskstudium hast du eine sehr enge Verbindung zu Deutschland aufgebaut. Das war auch der Grund, dein Auslandssemester in München zu verbringen. Wo und wie hast du in München gelebt?

Joel: Ich habe in Allach im Haus meiner Großmutter gelebt. Jeden Tag bin ich mit der S-Bahn in die Innenstadt gefahren und habe dort den Tag zwischen Sendlinger Tor und Münchner Freiheit verbracht. Ich hatte von meinen Professoren in England keinerlei Anweisungen, was ich in München zu studieren hätte und ob ich die Prüfungen bestehen müsste. So konnte ich frei wählen und viele verschiedene Kurse wie deutsche Kirchengeschichte, Literatur oder ein ganzes Seminar über Kafka belegen.

Philipp: Ist Kafka dein deutscher Lieblingsschriftsteller geworden?

Joel (lacht): Seit dem Seminar nicht mehr! Uwe Timm ist der Autor, den ich am liebsten und am meisten lese. Seine Erzählung „Johannisnacht“ hat mir besonders imponiert.

Philipp: Apropos „imponieren“: Wo in München fühlst du dich am wohlsten?

Joel: Oh Gott! Wenn ich darüber nachdenke, fällt mir zu jeder Lebenssituation ein Lieblingsort in München ein. Spontan würde ich sagen: die Ludwigstraße zum Schlendern, die Theatinerkirche zum Beten und der Marienplatz für den Cappuccino.

Philipp: Die Menschen geben einer Stadt den Charakter, die Orte nur das Gesicht. Was sind deine Erinnerungen an die Münchner? Wie war die Kontaktaufnahme?

Joel: Im Allgemeinen sind die Münchner äußerst gastfreundlich, hilfsbereit und sehr direkt. Ich muss aber gestehen, dass es mir zu Beginn meiner Zeit sehr schwer gefallen ist, Kontakte zu knüpfen. Niemand ist nach der Vorlesung noch eine Weile zum Plaudern geblieben, wie ich es aus Birmingham und Cambridge gewohnt war. Nur wenige waren zugänglich für eine Tasse Kaffee. Das hat sich natürlich mit der Zeit geändert, aber zuerst einmal war es ein richtiger Schock für mich. Genau anders herum war es aber mit der Beziehung zu den Nachbarn, die in England leider vermieden wird, sodass dort zwei Meter hohe Hecken keine Seltenheit sind. Ganz anders aber in Deutschland, wo gegenseitige Einladungen, Post während dem Urlaub aus dem Briefkasten nehmen und gemeinsame Grillabende auf der Tagesordnung stehen. In England stehen Kontakte innerhalb der Universität im Mittelpunkt, in Deutschland die Privaten.

Philipp: Ich erlebe es gerade selbst hautnah: Wenn man im Ausland lebt, dann kommt einem vieles zuerst eigenartig vor. Fällt dir spontan ein spezielles Erlebnis ein?

Joel: Da fallen mir sogar zwei kurze Geschichten ein. In der ersten saß ich stillschweigend eines Nachmittags in der Theatinerkirche, als plötzlich aus dem Nichts eine wehende Mönchskutte schnellen Schrittes in Richtung Altarraum eilte. Ohne Vorwarnung oder jeglichen Rahmen predigte deren Träger euphorisch los.

Die zweite Geschichte ereignete sich zu Beginn einer Literaturvorlesung, als zwei Kommilitonen streitend den Hörsaal betraten und ihren Konflikt zehn Minuten lang vor dem Publikum ausbreiteten. Diese Situation wäre in Cambridge unmöglich gewesen. In Deutschland hat das Individuum anstatt der Autorität sehr viel mehr Platz.

Philipp: Mit welchen drei Schlagworten würdest du München beschreiben?

Joel: Das ist nicht schwer: Föhn. Gemütlichkeit. Verkehrsnetz. Alle drei Begriffe symbolisieren für mich das einzigartige München. Der Föhn gehört zum Münchner Leben wie der Puls zum Herzschlag. Die Gemütlichkeit ist auf Bestellung anzutreffen. Das Verkehrsnetz ist das bestorganisierte und übersichtlichste – besser organisiert als die Underground in London.

Philipp: Seit ich in England unterwegs bin, habe ich besonders lebhafte Unterhaltungen. Nun bist du ein geborener Engländer und hast die deutsche Sprache studiert. Was ist der auffallendste Unterschied für dich?

Joel: Der größte Unterschied ist, glaube ich, dass es im Deutschen einfach möglich ist, durch Kombinieren neue Worte zu erschaffen. Das heißt, im Deutschen sage ich genau wortwörtlich das, was ich sagen möchte. Im Englischen ist das nicht möglich, obwohl ein unvorstellbarer Wortschatz zur Verfügung steht. Aus diesem Wortschatz muss man aber dann das richtige Wort wählen.

Philipp: Ganz allgemein: Was sind die größten Gemeinsamkeiten und Unterschiede der beiden Länder?

Joel: Die größte Gemeinsamkeit besteht in dem gleichen germanischen Hintergrund. Zum Beispiel sind Architektur und Design in beiden Ländern sehr viel strenger und konsequenter als beispielsweise bei den Franzosen. Außerdem haben wir, grob gesagt, die gleichen Vorlieben beim Essen: Fleisch, Kartoffeln und Gemüse. Das Nationalgetränk ist das Bier und kleine Brauereien sind in jedem Dorf angesiedelt. Zwei Unterschiede, die mir spontan einfallen, und von denen die Engländer lernen sollten: zum einen die starke Bindung zwischen Familienmitgliedern, die mir in Deutschland aufgefallen ist. Sogar Großfamilien wohnen eng beieinander und leben den Alltag zusammen, wohingegen in England der Sohn in Schottland und die Tochter in Cardiff lebt und der Kontakt auf Familienfeiern beschränkt ist. Zum anderen achten die Deutschen mehr auf ihre Gesundheit. Jeden Tag beobachte ich hier mit Kopfschütteln junge Menschen mit Mini-Rock und T-Shirt bei Minus-Graden. Das Wort „Kältegefühl“ habe ich als Fremdwort in Deutschland erst durch das Wörterbuch lernen müssen.

Philipp: Ein Wort ist aber sicher kein Fremdwort für dich: Ökumene. Diese Frage liegt mir persönlich besonders am Herzen: Worin siehst du die größten Gemeinsamkeiten und Streitpunkte zwischen der anglikanischen und katholischen Kirche und wie schätzt du die Wahrscheinlichkeit eines Zusammenschlusses ein?

Joel: Das sind sehr wichtige Fragen, die viel öfter gestellt und beantwortet werden sollten. Die größte Gemeinsamkeit habe ich darin erlebt, dass der Gottesdienst und andere Feiern in der Priory of Lancaster und in der Theatinerkirche in München identisch ablaufen. Das heißt wir können gemeinsam das Gleiche tun, was die Grundvoraussetzung darstellt. Darüber hinaus haben wir die identische Botschaft, die gleichen Symbole und große gemeinsame Teile der Geschichte. Natürlich gibt es da theologische Unterschiede, die während der Jahrhunderte entstanden sind. Für mich ist aber der größte Unterschied, dass die Kirche und damit auch der Pfarrer in der katholischen Kirche weiter von den Menschen weg ist.

Ganz räumlich gesehen: Wenn man die Entfernung zwischen dem Priester und den Menschen hervorhebt, kam mir diese in Münchner Kirchen manchmal sehr weit vor. Dagegen versuchen wir so nah wie möglich zu sein: Das Evangelium wird in der Mitte der Menschen gelesen. Ein Grund, warum Priester in der anglikanischen Kirche in manchen Teilen vielleicht mehr im Leben stecken und so besser auf die Menschen eingehen können, ist sicherlich die Erlaubnis, in Partnerschaft oder in Ehe zu leben. Ich wünschte, der Zusammenschluss wäre möglich – am besten gleich jetzt. Aber die momentane Situation sieht nicht danach aus: Die anglikanische Kirche ist gerade dabei, gleichgeschlechtliche Partnerschaften zu akzeptieren und weibliche Bischöfe einzusetzen. Dieser Weg entspricht nicht den Vorstellungen der katholischen Kirche und den Gedanken des Papstes. Aber die Hoffnung und der Traum bleiben immer bestehen.

Philipp: Die Hoffnung bleibt bestehen, denn ich denke, genau das was wir gerade machen, ist Zusammenschluss. Wenn ich an dein herzliches Willkommen denke, wenn ich die Chorproben im Ohr habe, wenn ich die Jugendgruppe erlebe und wenn ich den Gottesdienst mit euch feiere, dann fühle ich mich nicht fremd oder zu Gast, sondern zu Hause.

Artikel vom 16.02.2012
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