Kolumne „Philipp auf der Insel“: Der Kilt ist Kult

München · Zwei Völker - ein Lebensstil: Schottland und Bayern

So ähnlich Schotten und Bayern sich auch sein mögen – man kann sie doch gut auseinanderhalten.	 Foto: phil

So ähnlich Schotten und Bayern sich auch sein mögen – man kann sie doch gut auseinanderhalten. Foto: phil

München · Wer hätte gedacht, dass sich das Vereinigte Köngreich und die Bundesrepublik in mancher Hinsicht so ähnlich sind? Der Giesinger Austauschschüler Philipp von der Wippel (16) hat erstaunliche Parallelen entdeckt.

Goodbye Germany, England we’re coming

In welchem Bundesland träumt man seit jeher von der Eigenständigkeit, spricht man den härtesten Dialekt, trägt man eine weltbekannte Tracht? Welches Bundesland liebt die Volksmusik und hat die höchsten Berge und die schönsten Seen? Welches Bundesland lebt mit dem rauesten Wetter und hat im Winter den meisten Schnee?

Auf all diese Fragen fällt mir nur eine Antwort ein: meine geliebte weiß-blaue Heimat Bayern. Seit gestern kenne ich noch einen »Frei-Staat« mit ähnlichen Charakterzügen. Sein Selbstbewusstsein ist vom Rest des United Kingdom gefürchtet. Der Dialekt tendiert zur eigenen Sprache. Der Kilt ist Kult. Der Dudelsack spiegelt die tiefe Gemütlichkeit wieder. Die Natur verwirklicht die Vorstellung des Paradieses. Es finden sich wohl kein zweites Mal zwei Völker, die im Lebensstil, der Mentalität und der Kultur so ähnlich sind wie Schottland und Bayern. Die enge Partnerschaft zwischen deren Hauptstädten Edinburgh und München ist daher keine Willkür, sondern viel mehr die logische Konsequenz. Gerne erinnere ich mich immer an die Tage im Jahr, wenn die Partnerschule meines Gymnasiums aus Edinburgh wieder zu Besuch war, der flatternde Kilt in den Gängen zu sehen war und verkündet wurde: »Die Schotten sind wieder da!«

Heute ist es genau andersherum: Heute mache ich mich als Bayer auf den Weg nach Edinburgh, um mich in das »schottische München zu verlieben«, so wie es mir meine Lieben zu Hause prophezeit haben. Zudem komme ich heute an einem Tag nach Edinburgh, an dem wieder einmal die Kräfte auf der Insel gemessen werden: Das schottische Rugby-Team spielt im Match des Jahres gegen die Mannschaft aus England. Jeder Inselbewohner möchte dabei sein und durch sein Jubeln und Schreien das Spiel beeinflussen, dessen Ausgang nicht nur sportlich über das Insel-Gleichgewicht für 2012 entscheidet. So auch meine Gastmutter Lydia, die selbst Trainerin der Rugby-Mannschaft von Lancaster ist, und mein Gastbruder Alex, der seit über zehn Jahren Rugby spielt. Das Glück hat den beiden tatsächlich zwei Tickets für das Topspiel und mir somit eine Top-Mitfahrgelegenheit beschert.

In aller Frühe geht es mit schwer bepacktem und voll getanktem Auto los. Denn wer meint, dass ein Trip nach Edinburgh für Engländer einen Tagesausflug wie für uns nach Salzburg darstellt, täuscht sich. Vielmehr nimmt man Wolldecken, Pullover, Teekannen und Sandwiches mit auf die Reise, die aus Sicht der Engländer in wildes Gebiet in der Nähe des Nordpols geht. Zwischen Diskussionen und Wetten über den Ausgang des Spiels wechselt die Landschaft von sich weit erstreckenden Wiesen mehr und mehr zu grünen Hügellandschaften, die mich in dem Gefühl des weichen Sommers versinken lassen und an die Natur in der Verfilmung von Tolkiens »Herr der Ringe« erinnern. Wir passieren die Grenze und wie in einem schlechten Film beginnt es auf der schottischen Seite wirklich in der gleichen Minute, heftig zu schneien und neblig zu werden. Somit wäre geklärt, nach welchen Kriterien die Grenzziehung vollzogen wurde.

Nach fast vier Stunden Autofahrt durch gefühlte acht Klimazonen kommen wir am Rande von Edinburgh an, von wo ab Lydia und Alex sich in die Masse Richtung Stadion stürzen und ich mich mit öffentlichen Verkehrsmitteln, wo sogar auf den Sitzen das Schottenmuster zu finden ist, in Richtung Royal Mile durchschlage. Wie der Name sagt, ist sie königlich und genau eine Meile lang. »Alle Highlights, Kultur und alles, wonach du suchst, findest du auf dieser einen Straße, die Mittelpunkt allen Geschehens ist. Hier kannst du einen Tag verbringen oder ein ganzes Leben – jeder genießt es, hier zu sein«, erklärt mir mein freundlicher Sitznachbar mit ausgeprägtem Dialekt.

Am höchsten Punkt der Royal Mile ist das prächtige Castle gelegen, das mit weitem Blick über das Wohl von Edinburgh wacht, und zugleich mein Startpunkt ist. Eine humorvolle Führung durch einen gut aufgelegten Edinburgher darf ich mir ebenso wenig entgehen lassen wie den beeindruckenden Blick über die Stadt, der aber später noch getoppt werden sollte. Die kleine Kapelle, die aufgrund der begrenzten Zahl an Gästen bei Brautvätern besonders beliebt ist, die schottischen Kronjuwelen, bei welchen man interessiert nachfragen sollte, um nicht den Stolz des Guides zu verletzen, und die waghalsigen Geschichten über die gefangen genommenen Seemänner machen das Castle so abwechslungsreich.

Vom Castle geht es nun eine Meile immerzu abwärts. Vorbei an der königlichen Weberei, dem Gladstones Land (Kaufmannshaus), der prächtigen St. Giles Cathedral, dem Fudge House (typisch britisches Karamell-Konfekt), das die weltbeste Schokolade anbietet, vielen Kilt-Schneidereien, Museen, Pubs, Souvenirshops und dem schottischen Parlament, steuert alles auf den Palace zu, der das Ende der Royal Mile bildet und in dem der Duke of Edinburgh (gelegentlich) residiert.

Für eine Führung im Palace bin ich bereits um vier Uhr zu spät, sodass ich Zeit habe, einem speziellen Insider-Tipp zum Sonnenuntergang nachzugehen: Arthur’s Seat. Gleich im Anschluss an den königlichen Palast geht der Weg zu jenem Hügel hinauf, an dem King Arthur’s mythisches Camelot gestanden sein soll. Den halbstündigen Kampf gegen Wind von Orkanstärke und sumpfigen Schlamm entschädigt tausendfach ein Rundblick über die träumerische schottische Landschaft, ein weiter Blick auf das Meer und ein Platz, an dem eine durch und durch friedliche Atmosphäre im Einklang mit der Natur herrscht. Die letzten Sonnenstrahlen spitzen zwischen dunklen Wolken hervor, bevor die Nacht sich breit macht. King Arthur muss einen sehr guten Geschmack gehabt haben. Mein Castle würde ich nirgendwo anders aufstellen. Ein Platz, an dem man leben möchte!

Auf dem Weg zurück zum Treffpunkt mache ich noch das obligatorische Foto mit waschechtem Dudelsackspieler und werde selbst stolzer Besitzer eines Kilts. Ob der Kilt zum Trachtenhemd die Lederhose ersetzen kann, muss sich in der Modekollektion für den Frühling erst noch herausstellen und der Mythos, was der Schotte nun wirklich unter dem Kilt trägt muss auch noch gelüftet werden, aber bis dahin heißt es erstmal »Beannachd leat« oder »Pfiat di«!

Artikel vom 07.02.2012
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