Kolumne „Philipp auf der Insel“: Tower Bridge, Big Ben und Westminster

München · Überraschender Ausflug

Dieses Bild ist nicht in York entstanden. Hier ist es aber auch ganz nett.	Foto: phil

Dieses Bild ist nicht in York entstanden. Hier ist es aber auch ganz nett. Foto: phil

München · Die Tücken der Zeitumstellung haben dem Giesinger Austauschschüler Philipp von der Wippel (16) einen überraschenden Ausflug eingebracht. Statt in York kam er im über 300 Kilometer entfernten London an.

Goodbye Germany, England we’re coming

Am Horizont erspähe ich den letzten Sonnenschein. Die Landschaft Südenglands braust vorbei. Ich sitze im Expresszug zurück nach Lancaster und einer der überraschendsten Tage, die ich jemals erlebt habe, neigt sich dem Ende zu. Als ich vor elf Stunden den ersten Schritt aus dem Bett gemacht habe, konnte ich nicht ahnen, was dieser Tag mit mir vorhaben würde.

Rückblende: Der Wecker klingelt. Ich überrede ihn zu fünf Minuten Gnadenfrist, doch beim Umdrehen halte ich geschockt inne: Es ist viel zu hell hinter dem Vorhang. Es kann nie und nimmer sieben Uhr sein! Meine am Schreibtisch liegende Uhr bestätigt mein im Bauch aufsteigendes mulmiges Gefühl: Die Tage werden nicht stundenweise länger, sondern es ist definitiv schon eine Stunde später. Mein iPod ist die letzte noch nicht umgestellte Uhr – leider oder Gott sei Dank?

Das bedeutet für mich Katapultstart, denn vor 15 Minuten ist der mit Schulfreunden vereinbarte Zug nach York abgedampft. Ein bisschen Wasser ins Gesicht, Schlüssel, Handy und Geld eingesteckt, sieht man mich mit wehendem Mantel zum Bahnhof spurten, um den nächsten Zug zu erwischen. Der Schaffner pfeift, die Warnleuchten blinken und mit schließenden Türen springe ich in den Zug: Geschafft!

Die Zeit vergeht im Flug, während ich mit zwei Schotten aus Glasgow über die Situation der Rangers plaudere. Der Zug hält in Warrington Bank Quay. Dieser Name wird mir in Erinnerung bleiben. Dort klingelt mein Handy, und die in York angekommenen Freunde fragen, wo ich mich denn gerade befinden würde. Zufrieden über die Antwort erklären sie mir fürsorglich, welchen Zug ich nun nehmen soll. – »Moment! Ich sitze immer noch in dem anderen Zug.« – zu spät! Er rollt schon wieder an. Mit der Sicherheit beim nächsten Stopp aussteigen zu können und kurzerhand zurück zu fahren, frage ich den Schaffner nach dem nächsten Halt: Fehlanzeige! Der Express rast ohne einen weiteren Halt in Richtung London.

Ich beginne zu realisieren, was die gezwungene Weiterfahrt für mich bereithält. Planänderung: Ich komme heute zum ersten Mal in die Stadt von Tower Bridge, Big Ben und Westminster! Doch zum Glück nicht allein, denn dank eines guten Freundes habe ich kurz nach meiner Ankunft auf der Insel Kontakt mit einem seiner in London lebenden Freunde aufgenommen. Trotz des überfallartigen Anrufs sagt er alle heute anstehenden Termine ab, lässt alles stehen und liegen und wartet bei meiner Ankunft bereits am Gleis.

Die roten Doppeldeckerbusse, die Underground, die Bahnhofhalle – alles Dinge, die ich schon oft gesehen habe, obwohl ich noch nie hier war. Und jetzt: Unglaublich, ich bin wirklich in London! Wir gehen an der Themse entlang, wo die meisten Highlights zu finden sind: Globe Theatre, Tower Bridge, Tower of London,… Unsere Tour besteht darin, dass wir nur dem glitzernd-strömenden Fluss folgen und auf diese Art und Weise das für das erste Mal in London Wichtigste erleben. Es ist eine komplett andere Atmosphäre, an einem Fluss entlang zu gehen und nicht kreuz und quer durch die Stadt zu hetzen.

Ein großer Vorteil mit einem Londoner unterwegs zu sein, sind neben den guten Gesprächen und dem gemeinsamen Spaß die vielen Insider-Tipps, die ich als bloßer Tourist nie erhalten würde. So weiß ich jetzt, wo man den saftigsten Burger isst, die beste Tea ­Time verbringt, die frischesten Zutaten für eine Brotzeit einkauft, die begabtesten Artisten bewundert, den schönsten Sonnenuntergang in ganz London erlebt und die beste Aussicht auf das hellbeleuchtete London hat. Wir nehmen uns die Zeit, jeden Ort so lange zu genießen, wie es uns gefällt. Einige Highlights bleiben so für heute unerreichbar.

Beim Goodbye am Bahnhof, spricht mein Freund prompt eine Einladung für ein ganzes Wochenende in London aus, da er den heutigen Besuch nur als ein »Preview« für das völlige Eintauchen in das Londoner Leben ansieht. Die Floskel »See you later« werde ich also diesmal wörtlich nehmen! Abenteuer ist nicht planbar – das zeigt mir dieser überraschende Tag: Ich wollte nach York und bin auf der Tower Bridge gelandet! Vielleicht war es also das Beste, was mir passieren konnte, dass die Uhr meines iPods noch in deutscher Zeit lief. Alles ergibt Sinn – wenn auch erst im Nachhinein!

Artikel vom 16.01.2012
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