Wärmende Hilfe: Verein verteilt Kälteschutz-Sets an Obdachlose

Schwabing · Tag für Tag kämpfen

Kälteschutz für Obdachlose: Jasmin Irl verteilt Schlafsäcke, die Helfer Thomas und  Ryan (v. l.) sammeln Spenden. 	Foto: Sylvie-Sophie Schindler

Kälteschutz für Obdachlose: Jasmin Irl verteilt Schlafsäcke, die Helfer Thomas und Ryan (v. l.) sammeln Spenden. Foto: Sylvie-Sophie Schindler

Schwabing · In manchen Nächten, wenn es besonders eisige Temperaturen hat, macht Peter vor lauter Zittern und Bibbern kein Auge zu. »Das ist dann wirklich sehr, sehr hart«, sagt der Obdachlose.

»In dieser Jahreszeit muss ich Tag für Tag aufs Neue kämpfen.« Auch der 46-jährige Quirin lebt auf der Straße. »Letzten Winter wäre ich beinahe draufgegangen«, erzählt er. Mit dieser Problematik steht er nicht allein. Der Kältetod lauert auf alle, die zwischen November und März kein Dach über dem Kopf haben. Geschätzt übernachten in München rund 200 Obdachlose bei Minusgraden unter anderem auf Parkbänken, unter Brücken und in Erdlöchern. Die Dunkelziffer liegt höher.

Der Schwabinger Verein »Golden Donkey« hilft jetzt mit seinem aktuellen Kälteprojekt Obdachlosen. »Diese Menschen sind sehr arm dran«, sagt die Vereinsvorsitzende Jasmin Irl. »Wir wollen nicht zuschauen, wenn es Leuten in dieser Stadt schlecht geht, wenn sie womöglich vom Tod bedroht sind. Wir wollen etwas tun.« Deshalb verteilt der Verein Thermo-Schlafsäcke, lange Unterwäsche und Regenschutz an solche, die es in München gerade dringend brauchen. Die so genannten »Kälteschutz-Sets« sollen helfen, den Winter zu überstehen. »Wir sind auf Geld- und Sachspenden angewiesen. Und freuen uns über jeden, der uns unterstützt«, so Mitglied Tobias Irl. Sachspenden würde der Verein sogar in München und Umgebung selbst abholen. Tut denn München nicht genug für Obdachlose? Das Hilfsnetz ist schon gut ausgebaut: Es gibt Beratungsstellen, Sozialarbeiter und umfassende medizinische Versorgung. Auch hungern muss niemand. Der 67-jährige Peter drückt es so aus: »Du kannst dich durchessen, bis du platzt.« Doch in Sachen Kälteschutz ist die Situation erschreckend. »Da gibt es einen enormen Bedarf«, sagt Jasmin Irl. Natürlich, niemand müsste unter freiem Himmel nächtigen, über 3.000 Plätze für Wohnungslose gibt es in städtischen Unterkünften und denen freier Träger. »Doch die meisten nehmen lieber in Kauf, zu erfrieren, als dort zu schlafen«, berichtet Peter. Warum? »Wer dort mal war, weiß warum.« Er erzählt von Diebstählen, von übel riechenden Schlafsälen und rigiden Hausregeln. Man dürfe weder Hunde mitnehmen noch Alkohol trinken und habe während der ganzen Nacht und bis morgens um acht Uhr Anwesenheitspflicht. »Da fühlt man sich wie im Knast«, so Peter. Für ihn sei das nichts.

»Pauschalurteile sind aber fehl am Platz«, wendet Tobias Irl ein. »Es gibt solche und solche. Ich kenne Einrichtungen, die sehr gut arbeiten und bei denen das anders läuft.« Doch ob einer in einem Obdachlosenheim unterkommen will oder nicht – letztlich ist es seine Entscheidung, sein Leben. »Man kann ja niemanden ­zwingen«, so Irl. Manchmal würden Obdachlose auch jede Hilfe verweigern, weil sie Hemmungen haben oder sich selbst nicht eingestehen wollen, dass sie »auf Platte« leben. Irl und seine Frau erleben auf ihren Touren durch das Stadtgebiet, auf denen sie die Kälteausrüstungen verteilen, zwar selten, aber immer wieder, dass offensichtlich Wohnungslose völlig entrüstet sind: »Warum sprechen Sie mich an? Mir geht es gut. Ich habe eine tolle Wohnung.«

Barfuß bei Minusgraden

Neulich seien sie von einem Mann verjagt wurden, der bei Minustemperaturen in leichter Sommerkleidung und barfuß unterwegs war. Laut des Vereins Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungshilfe sind in den vergangenen 20 Jahren mindestens 272 Wohnungslose auf deutschen Straßen erfroren. Auch hier soll die Dunkelziffer wesentlich höher liegen. Besonders Alkoholiker sind gefährdet, da sie nachts schneller auskühlen, aber nicht merken, dass sie frieren – der Alkohol betäubt den Körper völlig. Quirin kennt das Problem: »Ein kräftiger Schluck Alkohol hilft, die Kälte besser auszuhalten. Aber dabei merkt man gar nicht, dass der Körper immer mehr auskühlt. Dann schläft man ein und wacht vielleicht nie wieder auf. Ich hatte richtig Dusel, sonst wär ich jetzt nicht mehr hier.«

Auch die Alten und Kranken leiden extrem. Viele sterben erst später an den Folgen der regelmäßigen Unterkühlung. Oder es drohen andere Folgeschäden. Wie etwa bei einem Obdachlosen, der unter der Wittelsbacher Brücke nächtigte und dessen Beine völlig erfroren waren. Die Folge: Beide Beine mussten amputiert werden. »Soweit darf es einfach nicht kommen«, so Irl.

Der Verein »Golden Donkey« wurde 2009 in Schwabing-West gegründet und beschäftigt sich vor allem mit der Finanzmittelbeschaffung für soziale Einrichtungen wie Krankenhäuser und Altenheime. Mit sozialen Projekten wird der Verein aber auch selbst aktiv, so wie aktuell mit dem Kälteprojekt. »Hilfe, die ankommt« steht in großen Lettern auf dem Auto, mit dem das Ehepaar Irl herumfährt und die Kälteschutz-Sets verteilt.

Vorbild für die eigenen Kinder

»Uns ist auch wichtig, dass wir ein Vorbild für unsere Kinder sind«, sagen die Irls. »Nächstenliebe ist immer gefragt, besonders in der Zukunft.« Weitere Informationen zum Verein gibt es im Internet unter www.golden-donkey.de oder unter der Telefonnummer 20 06 19 11. Wer spenden möchte, kann dies bei der Bank für Sozialwirtschaft, Bankleitzahl 70 02 05 00, Kontonummer 9 81 18 00 unter dem Stichwort »Kälteschutz« tun. Sylvie-Sophie Schindler

Artikel vom 10.01.2012
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