»München gedenkt der deportierten Juden«: Vor 70 Jahren in Milbertshofen

Milbertshofen · Eine Fahrt ins Ungewisse

Der Holocaust-Überlebende Werner Grube (rechts) und der Münchner Künstler Paul Huf präsentierten sich anlässlich der Veranstaltungsreihe »München gedenkt der deportierten Juden« im Kulturhaus Milbertshofen.	Foto: ws

Der Holocaust-Überlebende Werner Grube (rechts) und der Münchner Künstler Paul Huf präsentierten sich anlässlich der Veranstaltungsreihe »München gedenkt der deportierten Juden« im Kulturhaus Milbertshofen. Foto: ws

Milbertshofen · Vor genau 73 Jahren – am 9. November 1938 – begann in München das dunkelste Kapitel der deutschen Geschichte:

Eine wüste antisemitische Hetzrede des Reichspropagandaministers Joseph Goebbels im Saal des Alten Rathauses an diesem Abend markierte den Auftakt zur Reichsprogromnacht. In den Stunden und Tagen darauf wurden überall in Deutschland systematisch tausende Juden verhaftet, gefoltert und ermordet. Drei Jahre später – am 20. November 1941 – wurde in einem Barackenlager in Milbertshofen der erste Transport jüdischer Kinder, Frauen und Männer zusammengestellt. Annähernd 1.000 jüdische Münchnerinnen und Münchner wurden am 20. November 1941 am Güterbahnhof Milbertshofen gezwungen, einen Zug zu besteigen, einen Personenzug. Sie wurden in das von der Wehrmacht besetzte litauische Kaunas gebracht und nach ihrer Ankunft erschossen.

Dieser Menschen wird mit einer Namenslesung am heutigen Mittwoch, 9. November, gedacht: Sie beginnt um 14 Uhr am Gedenkstein der ehemaligen Hauptsynagoge in der Herzog-Max-Straße (hinter dem Künstlerhaus). In diesen Tagen jährt sich diese erste Fahrt in den Tod zum 70. Mal. Unter dem Motto »München gedenkt der deportierten Juden« findet genau 70 Jahre später – am Sonntag, 20. November, um 15 Uhr – im Kulturhaus Milbertshofen am Curt-Mezger-Platz 1/Ecke Schleißheimer Straße eine Gedenkstunde statt. Es sprechen Oberbürgermeister Christian Ude, Kulturreferent Dr. Hans-Georg Küppers und Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern. Anschließend findet ein gemeinsamer Gedenkmarsch zum Güterbahnhof Milbertshofen statt. Dort, am nördlichen Ende der Riesenfeldstraße, gibt es eine Abschlusskundgebung, bei der unter anderem Überlebende des Holocaust sprechen werden.

Im Barackenlager in Milbertshofen an der Knorr-/Ecke Troppauerstraße waren viele Münchner Jüdinnen und Juden untergebracht. Dem ersten Transport folgten weitere in die Konzentrationslager Kaunas, Piaski, Theresienstadt und Auschwitz. Der Münchner Künstler Paul Huf will dort Spurensuche betreiben und startete dazu am vergangenen Wochenende vom Münchner Hauptbahnhof aus eine »Forschungsreise wider das Vergessen«. Huf begibt sich mit Begleitern, darunter dem Holocaust-Überlebenden Ernst Grube, auf die Route der Deportations-Züge: Während der Reise werden jeden Tag noch bis zum 20. November Zeichnungen und Fotografien des Künstlers Paul Huf und Tageseindrücke des Holocaust-Überlebenden Ernst Grube aus Theresienstadt, Auschwitz, Piaski und Kaunas Bilder und Berichte nach München gesendet. Alles wird täglich von 19 bis 22 Uhr auf Projektionsflächen im Kulturhaus Milbertshofen sowie an dessen Außenfassade zu sehen sein; daneben auch im Internet unter www.forschungsreise-wider-das-vergessen.de.

Ernst Grubes Bruder Werner bleibt in München. Doch er kommt ebenfalls in diesen Projektionen vor, etwa mit dem Zitat: »Wir wussten ja nicht, wo es hingeht.« Werner Grube musste im Februar 1945 mit seinem Bruder am Hauptbahnhof einen Zug mit unbekanntem Ziel besteigen. Sie wurden ins KZ Theresienstadt deportiert, nur das Kriegsende bewahrte die Grube-Brüder vor dem Tod in der Gaskammer. Zuvor waren sie in München unter anderem auch ins Barackenlager Milbertshofen eingewiesen worden. Werner Grube hat daran die schlimmsten Erinnerungen: »Das Lager war der Vorhof zur Hölle.« Obwohl damals noch ein Kind, sei ihm die sadistische Grausamkeit der Nazis nicht verborgen geblieben, erinnert sich der heute 81-Jährige.

Das Leben in den Barackenlagern Milbertshofen und Berg am Laim sowie die Verfolgung und Deportation der jüdischen Münchner von 1941 bis 1945 beschreibt Maximilian Strnad, Historiker am NS-Dokumentationszentrum München, in seinem Buch »Zwischenstation Judensiedlung«. Er präsentierte es in der vergangenen Woche im Kulturhaus Milbertshofen. Strnad hält außerdem den Vortrag »Die Deportation der jüdischen Münchner« am Freitag, 18. November, 19 Uhr, in der Volkshochschule München, Stadtbereich München-Nord, Troppauerstraße 10.

Mit dem ehemaligen Barackenlager Milbertshofen, der sogenannten Judensiedlung, beschäftigte sich auch die Schüler-Geschichtswerkstatt der Hauptschule an der Schleißheimer Straße 275. Sie präsentiert eine Ausstellung unter dem Titel »Die Judensiedlung«, zu sehen noch in dieser Woche am Mittwoch, 9. November, von 14 bis 19 Uhr, und am Donnerstag, 10. November, von 14 bis 17 Uhr. München gedenkt der deportierten Juden – unter diesem Motto gibt es im Münchner Norden eine Reihe von Veranstaltungen: eine Lesung mit der Autorin Amelie Fried und ihrem Mann Peter Probst zur Geschichte ihrer Familie (Montag, 14. November, 19.30 Uhr, Titel: »Schuhhaus Pallas: Wie meine Familie sich gegen die Nazis wehrte«), einen Film von Michael Verhoeven über »Menschliches Versagen« und der Ausgrenzung, Entrechtung, Enteignung und Deportation jüdischer Bürger (Mittwoch, 16. November, 19 Uhr) und »Salam Shalom – Kennst Du den Weg ins Paradies?«, jiddische und israelitische Lieder (Freitag, 18. November, 20 Uhr) – alles im Kulturhaus Milbertshofen, Curt-Mezger-Platz 1. In Schwabing steht auch ein Konzert auf dem Programm mit Kompositionen, die im Konzentrationslager Theresienstadt entstanden sind. Der Titel des Konzertes lautet: »unser Wille zu leben… - Musik an den Grenzen des Lebens 1933 – 1945«. Zu hören am Sonntag, 13. November, um 11 Uhr in der Kreuzkirche, Albert-Lempp-Saal, Hiltenspergerstraße 55 (Rückgebäude).

Das vollständige Programm der Veranstaltungsreihe »München gedenkt der deportierten Juden« ist im Internet unter www.muenchen-gedenkt.de abrufbar. In gedruckter Form gibt es Flyer, sie liegen in vielen Institutionen und Einrichtungen aus, etwa in den städtischen Museen und in den diversen Stadtbibliotheken. Wally Schmidt

Artikel vom 08.11.2011
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