Interview mit Robert Reisinger, Abteilungsleiter Fußball im TSV München von 1860 e.V.

„Der Löwe steht immer wieder auf“

TSV 1860-Fußballabteilungsleiter Robert Reisinger. Foto: A. Wild

TSV 1860-Fußballabteilungsleiter Robert Reisinger. Foto: A. Wild

München · Die Münchner Wochenanzeiger sprachen mit dem Fußballabteilungsleiter des TSV München von 1860 e.V., Robert Reisinger, über die Junglöwen und die Perspektiven der weiß-blauen Nachwuchsarbeit in Giesing.

In der Fußballabteilung des e.V. sind die Juniorenmannschaften von der U10 bis zur U17 organisiert. Das U19- und das U23-Team der Löwen werden unabhängig vom Juniorenfußball des e.V. in der TSV München von 1860 GmbH & Co. KGaA verwaltet, der auch die Profimannschaft angehört. Reisinger hat die Abteilungsleitung vor knapp eineinhalb Jahren von seinem Vorgänger Wolfgang Hauner übernommen.

Herr Reisinger, der neue Geschäftsführer des Profispielbetriebs beim TSV 1860 Robert Schäfer hat auf einer Pressekonferenz am 12. Dezember 2010 gegenüber Journalisten eine Aussage getroffen, die im Nachwuchsbereich der Löwen und bei den Mitgliedern Ihrer Fußballabteilung für Aufsehen gesorgt haben dürfte. Schäfer sprach davon, man habe beim TSV 1860 seit dem Bundesligaabstieg „fünf Jahre lang massiv über seine Verhältnisse“ gelebt und führte als Beispiel für überdimensionierte Ausgaben des Clubs das Nachwuchsleistungszentrum und die Juniorenarbeit an. Konkret sagte Schäfer: „Unser Jugendzentrum kostet drei Millionen Euro, das vom SC Freiburg 1,8 Millionen – und die machen auch eine hervorragende Jugendarbeit.“ Können Sie die Kritik nachvollziehen?

Die Sache ist etwas komplizierter, als sie in dem kurzen Zitat rüberkommt. Schäfer hat sicher nicht Unrecht, wenn er die Ausgabenpolitik der letzten Jahre im Profibereich radikal auf den Prüfstand stellt. Das ist in der Lage, in der sich der TSV 1860 befindet, gar nicht anders möglich. Er muss das tun. Das von ihm genannte Beispiel war allerdings unglücklich gewählt. Zum einen stimmen die Vergleichszahlen schlicht nicht, zum anderen halte ich die darin angedeutete Schlussfolgerung für falsch. Aber als verantwortlicher Geschäftsführer gehört es natürlich zu seinem Job, alle seine Ausgaben kritisch auf ihre Notwendigkeit hin zu überprüfen.

Haben seine Vorgänger diese Aufgabe versäumt?

Scheint so. Das kann und will ich als Abteilungsleiter im e.V. aber nicht beurteilen. Dazu habe ich im Detail auch zu wenig Einblick in die Geschäftsführung der KGaA. Präsident Rainer Beeck hat auf der jüngsten Delegiertenversammlung des Vereins, Ende November 2010, gesagt, Manfred Stoffers wäre der erste Geschäftsführer gewesen, der gegenüber den Gremien – Präsidium und Aufsichtsrat – die Kostenstruktur der KGaA als ein massives Problem darstellte, das behoben werden müsste, wenn man überleben will. Sein Vorgänger Ziffzer hätte laut Beeck hingegen immer nur von der Erlösschraube gesprochen, an der irgendwie zu drehen sei, und dabei stets erklärt, es gäbe keine Sparmöglichkeiten. Schatzmeister und Vize Dieter Schneider hat auf der gleichen Veranstaltung jetzt den Delegierten berichtet, die Ausgaben der KGaA würden die Einnahmen erheblich übersteigen und die jährlichen Kosten für den Lizenzspielerkader seien im Vergleich zwischen den Jahren 2007 und 2010 um 3,5 Millionen Euro gestiegen. Das nehme ich so zur Kenntnis. Ist auch kein Geheimnis. Die Presse war anwesend. Die Bewertung überlasse ich Ihnen.

Tauschen Sie sich als Fußballabteilungsleiter denn nicht regelmäßig mit Präsidium und Geschäftsführung aus?

Nein. Ich bin mit meinen Kollegen Daniel Bauer und Thomas Probst nur für den Nachwuchsfußball zuständig. Die Geschäftsführung im Profibereich und das Präsidium haben andere Aufgaben und machen ihr eigenes Ding. Vertreter des Präsidiums sehe ich selten. Zumeist nur alle 2 bis 3 Monate bei Sitzungen des Vereinsrats oder am Rande von Heimspielen der Profis. Mit der Geschäftsführung der KGaA ist es ähnlich. Herrn Dr. Niemann zum Beispiel habe ich gar nicht erst kennen gelernt. Möglicherweise wird sich das in Zukunft ändern. Kurz vor Weihnachten hatten wir ein Gespräch mit dem neu formierten Präsidium, in dem ein regelmäßigerer Austausch vereinbart wurde. Wir werden sehen.

Klingt nach geringem Informationsfluss zwischen Profibereich und Nachwuchsabteilung?

Das ist richtig. Ausgenommen die Verantwortlichen der KGaA für das Jugendleistungszentrum. Die sind naturgemäß nah dran an uns. Da findet eine sehr intensive und ausgesprochen positive Zusammenarbeit statt. Der gesamte Nachwuchsbereich funktioniert sehr gut. Die dort kontinuierlich seit Jahren erreichten Ergebnisse sprechen für sich.

Zurück zu unserer Eingangsfrage: Was stimmt denn nun nicht an Schäfers Zahlen?

Ich gehe davon aus, dass es sich bei Schäfers Angaben und seinem Vergleich mit dem SC Freiburg um ein Missverständnis handelt. Vielleicht hat er sich mit dem Juniorenfußball beim TSV 1860 und andernorts noch nicht so intensiv beschäftigt. Nach meinem Kenntnisstand betragen die Gesamtkosten der KGaA für die Nachwuchsausbildung beim TSV 1860 von der U10 bis zur U23 jährlich circa 2,5 Millionen Euro. Zieht man davon die nachwuchsspezifischen Einnahmen, wie etwa die UEFA-Förderung für die prämierte Arbeit des Nachwuchsleistungszentrums, Zuschauereinnahmen und Fernsehgelder der U23 sowie die Ausbildungsvergütung für unsere Juniorennationalspieler ab, verbleibt ein Betrag von gut 1,3 Millionen Euro, den die KGaA pro Jahr tatsächlich zuschießen muss. Andere Zahlen konnte mir noch niemand nennen. Dazu muss man aber wissen, dass der Unterhalt eines Nachwuchsleistungszentrums kein Luxus ist, den man sich als Profifußballverein wahlweise leisten kann oder auch nicht, sondern eine Verpflichtung, die an die Lizenzerteilung geknüpft ist. Zum Vergleich: Beim Bundesligisten SC Freiburg liegen die Kosten für den gesamten Nachwuchsbereich – die sogenannte Freiburger Fußballschule – nach Angaben des dortigen Sportdirektors Dirk Duffner bei rund drei Millionen Euro im Jahr.

Ist der Nachwuchsbereich beim TSV 1860 profitabel?

In der Summe auf jeden Fall. Obwohl der TSV in der Vergangenheit Spieler häufig unter Wert verkaufen musste, weil die KGaA finanziell zu stark unter Druck stand, wurden seit dem Abstieg aus der 1. Bundesliga (Saison 2003/2004, Anmerkung d. Red.) mit selbst ausgebildeten Spielern Transfererlöse in Höhe von knapp 19 Millionen Euro erwirtschaftet. Diese Verkäufe haben dem Klub in so manchem Jahr buchstäblich die Haut gerettet. Wenn der TSV 1860 erfolgreich sein will, muss er seine Spieler eigenhändig auf höchstem Niveau ausbilden. Daran führt für mich überhaupt kein Weg vorbei. Die in der Vergangenheit erzielten Ablösesummen beim Verkauf der Spieler sind auch nur ein Teil der Rechnung. Ergänzend muss man den finanziellen Aufwand berücksichtigen, den der Klub gehabt hätte, wenn er Spieler für seine Profimannschaft mit gleichem Ausbildungsniveau, wie die aus der eigenen Jugend kommenden, von anderen Vereinen hätte holen müssen. Die Rechnung geht auf jeden Fall auf. Da hat der TSV keinen Cent zuviel investiert. Deshalb ärgert mich auch die Diskussion über den angeblich zu teuren Nachwuchs. Dabei ist der finanzielle Aspekt sowieso nur die eine Seite. Mindestens genauso wichtig ist der Identifikationsfaktor für den Verein und das gesamte Umfeld. Der ist nämlich schier unbezahlbar.

Wie meinen Sie das?

Im Bereich der Junioren-Bundesligen vergleichen wir uns erfolgreich mit Top-Erstligisten, deren finanzielle Möglichkeiten ein Vielfaches der unseren betragen, und befinden uns selbst mit dem schwerreichen Nachbarn von der Säbener Straße absolut auf Augenhöhe, wenn nicht sogar einen Schritt voraus. Das ist kein Zufall. Das ist möglich, weil unsere Trainer, Betreuer, Talentsichter, Ausbilder, Pädagogen und alle, die da sonst noch mithelfen, mit Fachkenntnis und enormer Leidenschaft, Engagement und Kampfgeist am Werk sind. Die brennen für Sechzig. Wer das nicht bringen kann oder will, ist hier fehl am Platz. Mehr als 17.000 Mitglieder in der Fußballabteilung fördern mit ihrem Mitgliedsbeitrag diese Nachwuchsarbeit und sind ein wichtiger Teil davon. Das Ergebnis macht Mitglieder und Fans zu Recht Stolz. Das ist Sechzig. Hier wird das gelebt. Die Kinder und Jugendlichen, die damit in Berührung kommen, vergessen ihren Verein nicht. Das ist prägend für´s Leben. Auch wenn ein talentierter junger Spieler den TSV 1860 verlässt, bleibt er oft im Herzen ein Löwe. Das führt dann zu Heimkehrern. Oder glauben Sie, ein Lauth, ein Aigner, die wären hier, wenn sie mit dem Verein emotional nichts verbinden würde? Fragen Sie mal Marcel Schäfer. Bei den Junglöwen groß geworden. Wenn der hier die Möglichkeit hätte, seinem Leistungsvermögen als Nationalspieler entsprechend Fußball zu spielen, würde er gern nach Hause kommen. Da gibt es zig Beispiele. Aber dafür muss man etwas tun. Das kommt nicht von selbst. Klar ist auch: Die vorbildliche Nachwuchsarbeit beim TSV 1860 hat absolut positiven Einfluss auf das Ansehen und den Ruf des Klubs in der Öffentlichkeit. Dadurch steigt wiederum die Vermarktungsattraktivität insgesamt. Würde man ausgerechnet hier die Axt anlegen, halte ich das für einen kaum wieder gut zu machenden strategischen Fehler.

Sie haben in einer Wortmeldung bei der jüngsten Delegiertenversammlung Präsidium und Geschäftsführung vorgeworfen, keine Philosophie für den Verein zu haben und den Verantwortlichen mangelnde Gesprächsbereitschaft attestiert.

Das stimmt. Wobei mich an diesem Tag insgesamt der Verlauf der Versammlung nicht befriedigt hat. Deshalb habe ich mich zu einer etwas emotionalen Wortmeldung hinreißen lassen. Das ist vielleicht nicht immer klug, weil es dann am nächsten Tag gleich in der Zeitung steht. Aber in solchen Momenten bin ich eben wie ich bin. Da kann ich leider schlecht aus meiner Haut.

Was vermissen Sie denn konkret?

Eine durchgängige, gut durchdachte, und vor allem personenunabhängige Arbeitsstruktur und Arbeitshaltung – vom Profibereich angefangen bis runter zu den jüngsten Junioren. Innerhalb des Nachwuchsbereiches, ab der U23 abwärts, ist das bereits gut organisiert. Für die meisten der häufig wechselnden Verantwortlichen an der Spitze ist die Nachwuchsförderung jedoch eine Black Box, deren Inhalt sie nicht kennen. Da wirft man oben eine Summe Geld rein und unten kommen dann fertige Jungprofis raus. Die geschickte konzeptionelle Verzahnung des Profi- und Nachwuchsbereiches ist mir ein Anliegen. Dazu muss man aber miteinander reden und Entscheidungsstrukturen dafür schaffen. Der Sportdirektor und der Profitrainer sind beispielsweise stark vom Tageserfolg abhängig. Das ist normal und Teil des Profigeschäfts. Wenn du aber auf diesen Posten mit häufig wechselnden Leuten zu tun hast, kannst du nicht die Art und Weise, wie sie mit dem Nachwuchs und vorhandenen bewährten Ausbildungsstrukturen umgehen, alleine ihrem individuellen Talent und ihrer persönlichen Motivation überlassen. Dafür muss es einen klaren Handlungsrahmen geben, der personenunabhängig gilt. Im Nachwuchsbereich wird in anderen Zeiträumen gedacht, geplant und gearbeitet wie im Profibereich. Bei jedem Personalwechsel auf der Geschäftsstelle geht Wissen verloren, das sich der Nachfolger erst mühsam wieder erarbeiten muss. Je nach Vorbildung gelingt das mal mehr, mal weniger schnell. Wenn du so wie Sechzig in einem Jahr drei Geschäftsführer hast, ist es beispielsweise nicht verwunderlich, wenn auf der Ebene erst mal das Gespür für nachhaltige Ausbildungsarbeit fehlt. Da wünsche ich mir eine Philosophie, eine Struktur, die Neulingen das Verständnis erleichtert, was der TSV 1860 eigentlich ist. Was ihn ausmacht. Wie hier gearbeitet wird. Wie der Klub funktioniert. Wie Gremien, Mitarbeiter, Mitglieder und Fanszene ticken. Da muss man aber selber ran. So was kann man nicht bei einer Unternehmensberatung bestellen, die von der spezifischen Situation und Vereinshistorie keinen Schimmer hat und dann für teueres Geld nach Schema F ein paar BWLer- und Motivations-Sprüche liefert. Das hilft keinen Meter weiter. Bei dem Druck im Alltagsgeschäft, den die Handelnden bei uns aktuell verspüren, kann ich bis zu einem gewissen Grad verstehen, dass für solche Maßnahmen weder Zeit noch Kraft bleibt. Trotzdem lasse ich es mir nicht nehmen, das immer wieder anzumahnen.

Lassen Sie uns von der Theorie zur Praxis wechseln. Gibt es Dinge, die sich aus ihrer Sicht sofort umsetzen ließen?

Sicher. Ich bin ein starker Befürworter davon, der U19 und U23 ein eigenes Budget fest zuzuweisen. So wie wir das von der U17 abwärts im e.V. auch geregelt haben. Die Leitung des Nachwuchsleistungszentrums sollte eigenverantwortlich darüber verfügen können. Und zwar unabhängig vom Profibereich. Das ist übrigens keine Idee von mir, sondern eine Empfehlung der DFL, die sie im Rahmen der Zertifizierung der Nachwuchsleistungszentren erteilt. Ich finde das strategisch richtig. Das hätte zudem den Vorteil, intern eine klarere Kosten-Nutzen-Analyse aufmachen zu können. Auch Spielabstellungen der U23- und U19-Spieler in den Profikader könnten verrechnet und damit budgettechnisch transparent dargestellt werden. Manche Diskussion über „teuren Nachwuchs“ würde dann womöglich gar nicht erst stattfinden oder hätte zumindest eine nachvollziehbare Grundlage.

Was werden Sie tun, wenn demnächst Gespräche über Einsparungen im Juniorenbereich anstehen?

Ich habe volles Verständnis für die Sanierungsbemühungen der KGaA und werde sie im Rahmen meiner Möglichkeiten als Abteilungsleiter aktiv unterstützen. Sollten die Einsparungen aber einseitig zu Lasten der Qualität in der Nachwuchsausbildung gehen, unsere sportlichen Ziele gefährden und damit die Wurzeln des Vereins bedrohen, kann man nicht mehr von einer Sanierung des Klubs sprechen. Das wäre dann vielmehr ein Selbstmord auf Raten. Und das nur, um am Ende die Miete in der Allianz Arena oder einen Profikader bezahlen zu können, mit dem sich – ohne Eigengewächse – kein Mitglied oder Fan mehr identifizieren kann? Für eine solche Politik bin ich der falsche Mann. Beim TSV 1860 wurden nach dem Bundesligaabstieg bereits in mehreren Etappen im Nachwuchsbereich Kosten eingespart. Aktuell stehen wir im Nachwuchsbereich finanziell am Limit, wenn die Ausbildungsqualität gehalten werden soll. Ich werde für eine auch in Zukunft erfolgreiche Jugendarbeit beim TSV 1860 kämpfen und hoffe, den Verantwortlichen meine Position verständlich machen zu können. Dafür wurde ich von den Mitgliedern gewählt.

Zweifeln Sie am Fortbestand des Vereins?

Nein, den TSV 1860 München wird es immer geben. Es kann sein, dass man eine Zeitlang kleinere Brötchen backen muss. Vielleicht wäre das auch eine Art Katharsis (lacht). Aber am Fortbestand muss man nicht zweifeln. Dafür gibt es einfach zu viele Menschen, die den Löwen im Herzen tragen. Dazu hat der Verein eine zu lange Tradition. Der Löwe steht immer wieder auf.

Interview: Alfons Seeler

Artikel vom 04.01.2011
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