Kritiker wollen Zweitvertretungen von Proficlubs verbannen

Woran krankt die Regionalliga?

Foto: A. Wild

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München • „Pro-Regionalliga-Reform-2012“ nennt sich eine Initiative von Vereinen und Fans, die eine Reform der in der Saison 2008/2009 neu strukturierten Regionalligen fordert. Ein besonderer Dorn im Auge sind den Kritikern die 2. Mannschaften von Profivereinen, die mit ihren U23-Mannschaften überwiegend in den Regionalligen Nord, West und Süd unterwegs sind.

Die Initiatoren haben für ihre Kampagne prominente Fürsprecher gewonnen. So formuliert etwa die in Kassel geborene Anhängerin des SV Darmstadt 98, die SPD-Bundestagsabgeordnete und frühere Bundesjustizministerin Brigitte Zypries, die Bemühungen in einer persönlichen Botschaft: „Ich unterstütze die Bemühungen von Fans und Vereinen, die Fußball-Regionalligen zu reformieren. Gerade für traditionsreiche Vereine, die eine große Fangemeinde hinter sich wissen, sind Begegnungen gegen die 2. Mannschaften von Proficlubs nicht attraktiv – weder sportlich noch wirtschaftlich. Es ist deshalb wichtig, dass es wieder einen sportlich und finanziell fairen Wettbewerb gibt! Der SV Darmstadt 98 hat in den vergangenen drei Jahren wirtschaftlich harte Zeiten durchgestanden und aus eigener Kraft und mit großer Unterstützung der Fans, der Wirtschaft und der Politik die drohende Insolvenz abgewendet. Jetzt muss es das Ziel sein, in der Regionalliga ansprechenden Fußball mit attraktiven Gegnern zu bieten. Deswegen ist eine Liga-Reform notwendig und richtig!“

Klingt auf den ersten Blick einleuchtend und befriedigt die Seele vieler Traditionalisten. Doch bereits ein zweiter Blick auf die Rahmenbedingungen der Regionalligen und die Zuschauerstatistik verrät, dass die Dinge so einfach nicht liegen, wie manche populistische These glauben machen will.

Betrachten wir zunächst die Heimzuschauerstatistik der abgelaufenen Saison 2009/2010: In der Regionalliga Nord belegten die Zweitvertretungen der Profivereine in der Zuschauergunst erwartungsgemäß die hinteren Ränge. Dennoch ist es so, dass sich beispielsweise der FC St. Pauli II mit durchschnittlich 749 Zuschauern pro Heimspiel vor den ersten Mannschaften von TeBe Berlin (628), SV Wilhelmshaven (567), SC Goslar (368), Türkiyemspor Berlin (285) und FC Oberneuland (253) in die Statistik einreihen kann. Selbst Hansa Rostock II hatte zu Hause mehr Zuschauer, als die ersten Teams aus Goslar, von Türkiyemspor und aus Oberneuland-Bremen. Zufall? Nein. In der Regionalliga Süd sieht das Bild nicht viel anders aus. Hier sind die zweiten Mannschaften von Profiteams ebenfalls überwiegend auf den hinteren Rängen der Heimzuschauerbilanz zu finden. Doch auch im Süden liegt der TSV 1860 München II mit durchschnittlich 1.445 Besuchern pro Heimspiel auf Rang 7 der Zuschauergunst und damit vor den Erstvertretungen aus Weiden (1.237), Bamberg (791), Pfullendorf (621), Großaspach (504) und Alzenau (496). Ein Blick in die Regionalliga West bestätigt das Gesamtbild: Die hinteren Ränge in der Zuschauerstatistik gehen überwiegend an die Zweitvertretungen der Profivereine. Und doch liegt der FC Schalke 04 II mit durchschnittlich 1.330 Besuchern pro Heimspiel immer noch vor den 1. Mannschaften von Sportfreunde Lotte (1.321), Bonner SC (1.191), SV Elversberg (778) und SC Verl (499).

Wahr ist: Die neu formierten Regionalligen mit ihren strengen wirtschaftlichen, technischen und organisatorischen Auflagen bereiten vielen Vereinen existentielle Probleme. Sportlich qualifizierte Aufsteiger aus den Oberligen verzichten mitunter sogar auf ihr Aufstiegsrecht in die Regionalliga. Nach Einführung der 3. Bundesliga fehlen die sportlichen Zugpferde, um mehr Zuschauer in die Regionalligastadien zu locken. Zudem wurden die Fernsehgelder der Regionalligen einfach der neu geschaffenen 3. Bundesliga übereignet. Für die jetzt viertklassigen Regionalligamannschaften bleibt nichts mehr übrig. In den goldenen Zeiten, denen unterklassige Traditionsvereine heute nachtrauern, füllten beispielsweise zahlreiche reisefreudige Gästefans von Sankt Pauli, Eintracht Braunschweig, VfL Osnabrück, Fortuna Düsseldorf und Dynamo Dresden die Kassen der Gastgeber in den Regionalligen. Doch die spielen heute alle mit ihren ersten Mannschaften wieder in höheren Etagen.

Eine Verbannung der 2. Mannschaften von Profiteams aus den Regionalligen würde das Zuschauerproblem dieser Klasse nicht nachhaltig lösen. Die nachrückenden ersten Teams kleinerer Vereine könnten – so sie überhaupt die verbandsseitigen Anforderungen erfüllen – mit ihrem Anhang keineswegs wieder für volle Stadien und Umsatz in gut gefüllten Gästesektoren sorgen. Das Problem bei den Zuschauerzahlen scheinen nämlich bei genauer Betrachtung gar nicht so sehr die zweiten Mannschaften zu sein, sondern vielmehr die geografische Entfernung. Exemplarisch dafür steht die Heimspielstatistik des Traditionsvereins SSV Ulm 1846 in der abgelaufenen Saison der Regionalliga Süd. Dort konnten im Ulmer Donaustadion die meisten Zuschauer (2.913) erwartungsgemäß im Derby gegen den SSV Reutlingen begrüßt werden. Die am zweitbesten besuchte Heimpartie der Spatzen war jedoch – man höre und staune – gegen den TSV 1860 München II. Immerhin 2.255 Zuschauer wollten diese Partie sehen. Ähnlich sieht es bei der SpVgg Weiden aus. Die Oberpfälzer verzeichneten ihren Saisonrekord im Heimspiel gegen den Meister VfR Aalen mit 2.984 Besuchern. Das am zweitbesten besuchte Heimspiel war mit 2.336 Besuchern die Partie gegen den TSV 1860 München II. Weit vor den vergleichsweise mäßig besuchten Begegnungen gegen die Erstvertretungen der sogenannten Traditionsmannschaften Hessen Kassel (836) und SV Darmstadt 98 (858) – beides Vereine aus dem Kreis der Kritiker von Zweitmannschaften in den Regionalligen.

Das Ziel der Spielklassenreform durch den DFB war, mit der 3. Bundesliga – ähnlich wie in England, Italien, Spanien und Frankreich – eine dritte Profispielklasse zu etablieren. Dabei wurden die nachfolgenden Regionalligen in Nord, West und Süd zu einem Sammelbecken von Vereinen mit geringerer sportlicher Perspektive und Nachwuchsmannschaften der Profivereine gemacht. Die Regionalliga krankt – daran besteht kein Zweifel.

Doch taugen die Rezepte der Kritiker aus den Reihen der Initiative „Pro-Regionalliga-Reform-2012“, um die Ligen attraktiver zu machen? Was planen Verbände und Ligaverantwortliche? Damit beschäftigt sich kommende Woche Teil 2 der Wochenanzeiger-Analyse zur Regionalliga.

Alfons Seeler

Woran krankt die Regionalliga?

Artikel vom 10.08.2010
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